ich habe wegen dieses Threads mal "Reif ist live" abgeklickt: Das Format ertrage ich kaum, dieser unsägliche Moderator, diese Fragen... . Aber den Abschnitt über den Talente GAU habe ich mir angehört.
Marcel Reif hat sicher Ahnung vom Fussball, aber ich unterstelle mal, dass er vom Nachwuchsfussball keine tiefere Ahnung hat. Vermutlich hat er mal ein U21- oder U19-Länderspiel gesehen. Insofern wird die Diagnose "Talente GAU" alleine an dem festgemacht, was in der Elite ankommt, also an den Ergebnissen der U-Länderspiele und an den Talenten, die in der Bundesliga oder N11 ankommen. Es geht also alleine um den Leistungsbereich, daher kann man in meinen Augen die oben diskutierten Fragen "Lizensierung an der Basis" oder "Bezahlung der Jugendtrainer" vergessen, denn die sind wichtig für den Breitensport, haben aber kaum Einfluss auf den Leistungsbereich.
Allgemeiner Tenor ist aktuell ja "es fehlen die Straßenfussballer", die auch mal überraschende Dinge ausprobieren, die ins 1:1 gehen, statt den sicheren Querpass zu spielen. Meine Wahrnehmung: Auch heute noch gibt es Kinder, die nichts lieber tun als Fussball zu spielen und die das auch den ganzen Nachmittag lang tun. Das sind vielleicht nicht mehr so viele, wie vor 20 oder 30 Jahren, aber es sind immer noch ausreichend viele, um damit die Elite "füttern" zu können. Das sieht man ja auch an kleineren Nationen, die bekommen ja auch ausreichend Talente zusammen, um eine gute N11 stellen zu können.
Wo gehen uns die Straßenkicker dann verloren? Ein Punkt ist sicher, dass die Ausbildung in den NLZ extrem Ergebnis-orientiert ist. Die Gründe haben wir ja auch im Forum schon diskutiert. Ein 1:1 geht halt oft auch schief, bei mehr als 40% Erfolgswahrscheinlichkeit gilt man ja schon als Dribbelkönig. Aktuell bekommen es die Spieler im NLZ aber nicht erlaubt, in 60% der Fälle den Ball zu verlieren. Da kann und sollte man ansetzen. Einerseits von Seiten der Trainer, die hier bewusst Ergebnis-technische Nachteile im Sinne der individuellen Ausbildung der Nachwuchskicker in Kauf nehmen müssen. Und zum zweiten von Verbandsseite, Stichwort Auf- und Abstiege im Jugendleistungsbereich. Beide Punkte werden angegangen, sind aber noch weit vom Ziel entfernt.
Ein wichtiger Aspekt liegt auch im Profibereich. Welcher Verein/Trainer traut sich denn, Nachwuchsspieler einzusetzen, wenn er auch einen erfahrenen Profi für die gleiche Position hat? Der permanente, extreme sportliche und kommerzielle Erfolgsdruck auf die Clubs (Auf-, Abstieg, Europapokal ja/nein...) sorgt dafür, dass Trainer dann lieber auf die alten Spieler setzen, denn da wissen sie, was sie erwartet. Ein junger Spieler braucht aber einen Trainer, der ihn auch einsetzt und der ihn beim ersten Fehler nicht gleich wieder rausnimmt. Ich verstehe z.B. nicht, warum aus unsere U21-NM so wenige Spieler in der Bundesliga eingesetzt werden. Sind die wirklich so viel schlechter als die durchschnittlichen Profis? Ganz interessant ist in diesem Zusammenhang die Statistik über die Einsatzminuten der Eigengewächse in den einzelnen Clubs. Schalke, Köln und Mainz vorne (Zusammenhang mit der aktuellen Tabellensituation?). Freiburg wird immer genannt, liegt aber nur im Mittelfeld. In Leipzig und bei Union stehen die Chancen für Nachwuchsspieler eher schlecht...
Letzter Aspekt: Ich glaube, das Signal an die Jungs, die derzeit an der Schwelle stehen, ist verheerend. Die bekommen ständig gesagt "ihr seid so eine schwache Generation, da kommt ja nix!" Wie sollen die Jungs denn Selbstbewusstsein aufbauen? Ich finde das grundfalsch, zumal es nicht die Jungs sind, die die Fehler machen, siehe oben.
Sorry für den langen Text & Grüße
Oliver