Du hast jetzt eine Menge von mir zitiert und zu allem einen halben bis ganzen Satz kommentiert oder eine Frage gestellt. Bitte respektiere, dass ich solche kurzen Kommentare auf Mehrzeiler nicht noch mit längeren Mehrzeilern beantworte, das ist mir echt die Mühe nicht wert.
Aber eins sei gesagt: Du kannst nicht verleugnen, dass die Spitze im Fußball enger zusammengerückt ist. Argumente dafür geben uns Union, Stuttgart und Freiburg Woche für Woche in der Bundesliga.
Wales und Island im Viertelfinale einer EM? Portugal Europameister und Nations Leauge-Sieger? Russland und Schweden im Viertelfinale einer WM? Kroatien Vize-Weltmeister? Wer ist amtierender U20-Weltmeister? Es hat immer schon Überraschungen gegeben, aber in der Fülle? Es gibt doch immer mehr vermeintlich große Teams, die über vermeintlich kleine Teams stolpern.
Und das kannst du auch an den Spielern sehen, die in den jeweiligen Top-Teams spielen. Beispiel Schweiz: Schau dir den Kader von 2004 und den von 2018 im Vergleich an.
2004 hatte die Schweiz im 23er-Kader der WM 12 Legionäre, das höchste der Gefühle war da schon Magnin, die Yakins und Wicky aus der Bundesliga. Ansonsten zu dem Zeitpunkt kaum internationale Klasse und 11 Spieler aus der im Vergleich zweitklassigen eigenen Liga.
Bei der letzten WM 2018 waren es dann 22 Legionäre, darunter Stammspieler und CL-erfahrene Spieler von Gladbach, Dortmund, Basel, Juventus, Milan, Schalke, Benfica und Arsenal. Spieler dieses Formats suche ich 2004 vergeblich und das ist für mich eine Erklärung, warum die Schweiz 2018 auf dem sechsten Platz der Weltrangliste stand und nicht wie 2004 um Platz 40 herumgurkte.
Die Kleinen werden größer, weil sie gut arbeiten und der Vorsprung der Großen schmilzt, obwohl sie vielleicht auch gut arbeiten. Die "Kleinen" holen einfacher die 30% auf, die ihnen in den letzten 20 Jahren gefehlt haben, während die großen für die 2%, die sie ganz oben halten, extrem viel schuften müssen. Wie man gute Spieler findet, ausbildet und filtert, ist inzwischen zu fast allen Verbänden der Welt durchgedrungen. Für den Weltmeistertitel oder für erfolgreiche KO-Spiele gibt es nunmal kein Patentrezept. Auch kann man Matchglück, Matchpech, schlechte Phasen oder einfach nur nicht die richtigen Spieler haben. Das muss eben langsam mal in den Köpfen ankommen und auch in die Bewertung eines Spiels gegen z.B. die Schweiz einfließen.
Im Fußball können immer Nuancen entscheiden und niemand kann den Sieg pachten, weil er vor 6 Jahren mal Weltmeister war oder "in der Vergangenheit immer besser als der Gegner war". Wenn die Erwartungshaltung ist, dass Deutschland in einer Nations League-Gruppe mit dem amtierenden U20-Weltmeister (das ist ein Indikator für gute Arbeit), den Spaniern und den Schweizern (Kaderzusammebau weiter oben) den zweiten Platz holt und im Prinzip am letzten Spieltag alles für den Sieg selbst in der Hand hatte und man sich trotzdem über Ergebnisse echauffiert - tja, dann ist vielleicht auch der Bewertungsmaßstab das Problem.
2018 hatte Löw das Mittel des Ballbesitzfußballs gewählt, was an sich keine schlechte Wahl war, hat Spanien jahrelang den Fußball dominiert und auch die deutsche Mannschaft vor einigen Wochen 6:0 geschlagen. Deutschland ist dann ausgeschieden und Löws Analyse war im Prinzip ziemlich treffend, denn Deutschland ist tatsächlich an der eigenen Chancenverwertung gescheitert. Man möge sich im Zweifesfalle nochmal die Highlights der einzelnen Spiele anschauen, man hat sich im Strafraum nicht besonders geschickt angestellt. Torschusstraining braucht man doch wohl mit einer Nationalmannschaft nicht zu machen, oder?
Der Umschwenk ging mit dem "neuen" Spielermaterial auf Konter- und Tempofußball, was logisch ist, wenn man Werner, Gnabry, Sané und Havertz zur Verfügung hat. Dazu einige gute Passgeber und Umschaltspieler im Zentrum.
Dass diese Spielweise nicht immer attraktiv aussieht und eben auch davon abhängt, ob der Gegner tief steht oder einem die Räume zum Kontern lässt, muss man dann in Kauf nehmen.
Ich fasse zusammen: 2018 soll der Fußball angeblich schlecht gewesen sein, weil man ausgeschieden ist. Jetzt ist er schlecht, weil er nicht gut aussieht. Ist auch hier die Erwartungshaltung, dass man guten und erfolgreichen Fußball sieht? Es ist utopisch, das in der heutigen Zeit, in der es mehr Konkurrenten als je zuvor gibt, zu fordern.