Spielbeobachtungen

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  • Hallo zusammen,
    ich habe mir in der letzten Zeit ein paar Gedanken zu Spielbeobachtungen gemacht und hätte diesbezüglich zwei Fragen an Euch:


    1. Worauf achtet Ihr wenn Ihr Euch ein Spiel einer gegnerischen Mannschaft anschaut?
    Guckt Ihr eher auf einzelne Spieler/innen um zu erkennen welche Spieler besonders wichtig für das Spiel der gegnerischen Mannschaft ist? Schaut Ihr bewusst darauf auf welchen Positionen evtl. Schwächen beim Gegner zu erkennen sind? Oder guckt Ihr Euch eher die taktische Ausrichtung des Gegners an in der Erwartung, dass sie gegen Euch ähnlich agieren werden?


    2. Warum finden im professionellen Fußball Spielbeobachtungen statt?
    Sehr oft sieht man im Stadion den Trainer der Mannschaft, die im kommenden Spiel auf einen der beiden gerade spielenden Mannschaften trifft. Mich würde interessieren worauf diese Trainer bei Ihren Spielbeobachtungen achten. Insb. interessiert mich die Frage welche Erkenntnisse die Trainer im Stadion gewinnen können, die sie zuhause vor dem TV nicht bekommen. Die individuellen technischen Fähigkeiten der Spieler in den oberen Ligen dürften ja eigentlich hinlänglich bekannt sein. Im Zweifelsfall dürften sie ja ansonsten eigentlich vor dem TV-Gerät eher besser zu erkennen sein als auf der Tribüne. Somit blieben eigentlich nur taktische Beobachtungen übrig. Daher die Frage, kann der Trainer auf der Tribüne dort noch Dinge erkennen, die er nicht auch im TV sieht oder von den meist zahlreichen Scouts übermittelt bekommt? SInd die meisten Mannschaften in den oberen Ligen nicht eh dazu in der Lage ihr taktisches Konzept je nach der erwarteten Klasse des kommenden Gegners umzustellen? Und achtet der Spielbeobachter wohl eher auf individualtaktische Fähigkeiten oder mehr auf Gruppen- bzw. Mannschaftstaktisches Verhalten?

  • Zu 2: Ein Zuschauer schaut auf den Spieler mit Ball, ein Trainer auf die ohne Ball. Die sieht man aber im TV meist nicht. Es geht um die nächste oder übernächste Aktion, Räume besetzen, Passwege zu stellen und Abstände zwischen Mit- und Gegenspielern.

    Geht natürlich auch anders!

  • Bei Spielbeobachtungen versuche ich zunächst mal, die Grundformation zu finden. Das ist bei höherem Niveau meistens recht einfach, auf niedrigerem Niveau habe ich schon Spiele gehabt, wo wir mit zwei Trainern keine Grundformation erkennen konnten nach einer Halbzeit. Da stellt sich dann natürlich die Frage, welchen Sinn Beobachtung hat...


    Also die Formation und wer wo spielt.


    Dann sind Grundeigenschaften von Spielern wichtig. Starker Fuß, besonders schnell oder langsam, unsicherer Spieler in der letzten Reihe, Torspieler, der auf der Linie klebt, besonders kopfballstarker Spieler, Stürmer der nur dribbelt.


    Dann ein paar taktische Dinge: Spieleröffnung: wird versucht, rauszuspielen oder werden lange Bälle geknallt. Werden kurze Ecken gespielt? Wer ist Zielspieler bei Eckbällen? Wird bei defensiven Ecken im Raum oder gegen den Mann gespielt und ist der erste Pfosten besetzt? Auf welcher Höhe wird verteidigt? Wie stark wird verschoben?


    Das sind mal so aus dem Kopf die Hauptpunkte, die mich interessieren im Jugendbereich. Im Profibereich sähe das sicher etwas anders aus, weil es eben schon viele Vorinformationen gibt. Bei Robben muss vermutlich niemand seine Spieler darauf hinweisen, dass das ein Linksfuß ist und dass der gerne nach innen zieht. Wenn man den aber noch nie gesehen hätte, dann wäre der Hinweis viel wert.

  • Mir geht es bei der Spielbeobachtung von Gegnern grundsätzlich erst mal darum überhaupt zu sehen wie diese Mannschaft spielt. Also das Grundkonzept. Spielen sie mit langen Bällen oder kombinieren sie sich durchs Mittelfeld.
    Erst danach schau ich mir an wie sicher die Abwehr wirkt. Wenn ich mir hierzu ein Urteil gebildet habe, sind dann die einzelnen Spieler dran. Welche Spieler sind für das Spiel dieser Mannschaft besonders wichtig? Welche Spieler sind besondere Schwachstellen der Mannschaft?


    So habe ich dann ein Gesamtbild mit mannschaftlichen Schwächen und Stärken aber auch individuellen dieser Mannschaft und kann mir dann im Optimalfall einen passenden und erfolgreichen Matchplan überlegen.
    Allerdings ist es zumindest bei uns nur maximal zwei mal in der kompletten Saison möglich Gegner zu beobachten, da wir sonst immer gleichzeitig spielen.

  • Ich beobachte manchmal zu Saisonbeginn andere Mannschaften, um mir einen Eindruck der allgemeinen Spielstärke der einzelnen Teams zu machen, solange die Tabelle noch keine Aussagekraft besitzt.


    Auf dieser Basis und ein bisschen abhängig von meiner eigenen Tabellensituation plane ich dann meine Aufstellung (gegen Teams auf Augenhöhe eher die 1a-Formation, gegen deutlich stärkere oder schwächere Gegner eher einige Spieler in der Anfangsformation, die sonst etwas weniger zum Einsatz kommen. Daher plane ich meine Aufstellungen meist schon drei oder vier Spiele im Voraus, kurzfristige Änderungen (Trainingsbeteiligung, Verletzung, kurzfristige Abwesenheiten, etc.) natürlich nicht ausgeschlossen.


    Ansonsten achte ich bei Beobachtungen noch darauf, ob ein Team eher körperlich oder eher spielerisch stark ist, kurze oder lange Bälle bevorzugt und auf Standards.

  • Da sind ja schon ein paar gute Antworten dabei.


    Ich würd mal sagen, wenn es ein gegnerorientiertes Spielsystem (Breitensport-Fussball) ist, dann schaut man sich am besten die Schlüsselspieler des Gegners etwas genauer an. Suchen sie den Zweikampf, dann kann man seinen Spielern die Info geben, ihn evl. schon bei der Ballannahme zu stören, damit er kein Thempo für ein erfolgreiches Dribbling aufnehmen kann. Spielt er gute, lange Pässe, ist es wichtig, dass man ihn nicht den Raum gibt, damit er sich den Ball für eine lange Flanke weit genug vorlegen kann.


    Wer allerdings hingeht und sein Spiel ganz und gar nicht den Stärken des Gegners auslegt, der vergißt dabei die Stärken des eigenen Teams.


    Ohnehin sind die Auswertungsergebnisse im Breitensport im allgemeinen recht gering. Denn schon beim nächsten Match können Spieler dabei sein, die jetzt wegen Schule, Ausbildung, usw. gefehlt haben. Auch kann es dem gegnerischen Trainer in den Sinn kommen, mehrere Positionen in seinem Team zu verändern. Da war vielleicht jemand im Spiel zuvor auf der linken Seite schwach, mischt jetzt aber den Laden an der rechten Seite ordentlich auf.


    Im Leistungsfussball sieht die Spielbeobachtung schon ganz anders aus. Dort kennen sich die Trainer und ihre Spielphilosophie meist schon seit einigen Jahren. Allerdings sind es hier die Spieler und die individuelle Interpretation ihrer Aufgaben. So mag es ins Auge fallen, dass ein AV sich häufig ins Angriffsspiel einschaltet. Im gegnerischen Drittel angekommt, verliert er jedoch häufig den Ball. Deshalb könnte man diesen temporär vom Gegner freigegebenen Raum für sich nutzen. Hochaufrückende AV sieht man ja recht häufig im Leistungsfussball, wenn dort ältere Trainer am Werk sind. Andererseits will man auch die Taktik des Gegners einigermaßen ins Kalkül ziehen. So kann es u.U. Sinn machen, seinen Knisper, der ohnehin vom Gegner gedoppelt würde, nach außen zu ziehen, um im Zentrum Platz für eine weitere, hängende Spitze zu schaffen.


    Im Profi-Fussball gibts Video-Analysten, deren Aufgabe darin besteht, die Schlüsselszenen des aufgezeichneten Spiels für den Trainerstab aufzubereiten. Auch die wichtigen Szenen der kommenden Gegner werden gesichtet.


    Weil aber die Kamera immer am Ball sein muß, ist immer auch jemand aus dem Trainerstab beim Spiel, um die Bewegungen der ballfernen Spieler bzw. Spielräume zu beobachten, um ggf. Schlüsse für Konteraktionen zu ziehen.


    Bei der EM oder einer WM gibt es jeweils im Trainerstab auch Taktiker, die sich die Spiele der Gegner anschauen, um deren Stärken und Schwächen präzise zu erfassen. Gemeinsam mit dem Chefcoach wird anschließend besprochen, wie man sich taktisch sortieren möchte, um höchstmögliche Siegeschancen zu erhalten.


    In den Profiligen ist jedoch eine Tendenz zu erkennen, jeweils eine auf den Gegner abgestimmte Taktik einzusetzen, die eine angemessene Anzahl an taktischen Überraschungsmomenten enthält. Ging es im früheren gegnerorientierten Spiel noch darum, den Gegner am oder in dessen Strafraum auszutanzen, sind es heutzutage feinabgestimmte Ballstaffeten. Denn trotz der Zunahme an Laufarbeit ist es immer noch er Ball, der die meiste Kondition besitzt!


    Dennoch entwickelt sich jedes Spiel anders, weshalb die eigene Taktik fast nie vollständig so aufgeht, wie man es sich gedacht hat. In erster Linie liegt es daran, dass es Menschen und keine Roboter sind, die auf dem Rasen kicken. Aber so manch eine Taktik kann schon durch ein frühes Tor des Gegners über den Haufen geworfen werden. Oder auch Verletzungen bzw. taktische Wechsel des Gegners können rasche Veränderungsentscheidungen zur Folge haben. Ob man alles richtig gemacht hat, weiß man sowieso erst hinterher. Und selbst da kann`s Zweifel geben. So fragte BVB-Coach Tuchel nach dem 1 : 5 Debakel gegen die Bayern: vielleicht wars ein Fehler, dass ich meine Mannschaft so defensiv aufgestellt habe. Ich weiß es nicht, sagen sie es mir?


    Letzendlich wäre es auch langweilig, wenn es nicht in jedem Spiel Überraschungen gäbe. Auch dafür lohnt es sich, wenn man sich als Trainer weiterbildet, um so mehr über Fussballtaktik zu erfahren!