Es gibt mindestens zwei Arbeiten, die sich mit dem Thema Torerfolg nach Flanken auseinandersetzen. Beide kommen aus guten Gründen zu unterschiedlichen Ergebnissen, was eine interessante Betrachtung dieses Themas zulässt. Sehen wir uns zunächst die Studie von Jan Vecer aus 2014 (siehe Anhang) an. Darin hat er alle Spiele der WM 2014, sowie mehrere Saisons der BuLi und der EPL analysiert und kam zu dem Ergebnis, dass es pro Tor etwa 80 Flanken braucht. Das ist ein katastrophaler Wert und hat bei mir die Ablehnung gegenüber Flanken verstärkt. Wenn ich meine Spieler Flanken schlagen lasse, kann ich im Allgemeinen nicht mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit rechnen.
Da ich gerne Ballbesitz am gegnerischen Strafraum habe, weil der Gegner hier passiver verteidigt und einen langen Weg zu meinem Tor hat, mag ich es nicht, diese gute Position mit Angriffszügen von geringer Erfolgsaussicht aufs Spiel zu setzen. Stattdessen will ich, dass meine Spieler weiter den Ball zirkulieren lassen oder den Durchbruch zur Grundlinie im Strafraum suchen, um von dort den Ball zurückzulegen. Nicht falsch verstehen: nur weil ich keine Flanken mag, heißt es nicht, dass ich das Flügelspiel verschmähe.
Umgekehrt möchte ich natürlich, dass der Gegner nur über die Flügel angreifen und bestenfalls nur mittels Flanken in meinen Strafraum gelangen kann. Hier will ich aber, dass meine Spieler es unbedingt vermeiden, zu foulen. Sie sollen zwar versuchen, eine Flanke zu verhindern, aber keinesfalls auf Kosten eines Freistoßes. Denn hohe Hereingaben nach ruhenden Bällen sind schon wieder ein ganz anderes Thema.
Selbstverständlich gibt es auch positive Beispiele des Flankenspiels. Manchester United etwa mit David Beckham. An wie vielen Toren der Typ Mitte-Ende der 1990er beteiligt war, ist unfassbar. Aber darauf war das Spiel der Red Devils eben auch ausgerichtet. Außerdem war United nicht unbedingt bei der Direktabnahme der Flanken erfolgreich. So fiel bspw. das erste Tor von ManUtd. im CL-Finale gegen Bayern zwar nach einer hoch hereingebrachten Ecke von Beckham; es war aber keine direkte Abnahme. Dies passt zu den Erkenntnissen von Garry Gelade (https://www.theguardian.com/fo…l-crossing-premier-league).
Nach seinen Studien braucht es pro Tor „nur“ ca. 45 Flanken (inklusive Standards). Der Unterschied zu Vecer erklärt sich dadurch, dass Gelade nicht nur die direkte Flankenverwertung betrachtete, sondern zusätzlich noch die nächsten Sekunden, nachdem die Flanke in den Strafraum gelangte.
Für mich sind das immer noch zu geringe Werte, um eine bessere Meinung von Flanken zu haben, aber zumindest lässt sich daraus ableiten, dass die Nutzung von Flanken auf Prinzipien beruhen sollte, die sicherstellen, dass nach einer Flanke nicht sofort der Angriff beendet ist und der Ballbesitz wechselt. Stattdessen muss es das Ziel sein, den Ball lang in der Gefahrenzone zu behalten. Mögliche Prinzipien können dabei sein:
- Erst, wenn eine bestimmte Anzahl von Angreifern im gegnerischen Strafraum ist, darf geflankt werden (alternativ, wenn das Zahlenverhältnis von Verteidigern und Angreifern ausgeglichen ist).
- Bestimmte Staffelung der Angreifer im Strafraum wird vorgegeben.
- Der Rückraum muss für etwaige Abpraller aus dem Strafraum abgesichert sein (zweiter Ball).
- Der Ball muss in eine Position geflankt werden, die für den Torwart schlecht zu erreichen ist (kein Zug zum Tor auf Höhe des 5m-Raums).
Ein mögliches Beispiel habe ich als Bilddatei angehängt. Darin gehe ich von einem flachen 4-4-2 aus (noch so etwas, was ich nie spielen lassen würde...).
Diese Prinzipien müssen natürlich im Training entsprechend vermittelt werden. So bringt es eher wenig, wenn man - wie in der typischsten aller Flankenübungen - zwei Angreifer in den Strafraum gegen zwei Verteidiger und einen TW rennen lässt, während vom Flügel Bälle reingetreten werden. Da fehlen die Absicherungselemente und es geht lediglich um die direkte Flankenverwertung, die jedoch – wie wir anhand der Statistiken Vecers gesehen haben – äußerst selten zum Torerfolg führt. Trotz Gegnerdrucks sind solche Übungen daher nicht spielnah. Ich würde sie sogar als isoliert ansehen.
Ich empfehle stattdessen Spielformen mit mindestens 8 Spielern pro Mannschaft, in denen Tore nach einer hohen Hereingabe vom Flügel in den Strafraum nur dann zählen, wenn die oben genannten Prinzipien (oder welche Ihr auch immer vorgebt) berücksichtigt werden. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein Angriff nicht nach der Flanke endet.
Die Betrachtung von Flanken sollte also viel stärker in strategischer und taktischer Hinsicht erfolgen als in technischer. Ob ich nun einen Flankenspezialisten und ein Kopfballungeheuer zur Verfügung habe, sollten demnach nicht die einzigen Kriterien sein. Viel wichtiger ist es, Situationen so zu gestalten, dass eine Flanke auch noch nach mehreren Sekunden für Gefahr am und im gegnerischen Strafraum sorgt.