Auch wenn das Ursprungsthema ein anderes war, sind wir nun doch wieder bei der Diskussion um Spielformen & Isoübungen. Daher gehe mal darauf ein, was ich unter Spielformen verstehe.
Spielformen sind nicht nur X vs. X-Spiele, in denen man schweigend danebensteht und die Spieler sich selbst überlässt. Ich nutze sehr viele sogenannte Positionsspielformen, in denen ich oft in kleinen Räumen Über-/Unterzahlverhältnisse schaffe. Das ist ein unfassbar effizienter Weg, um strategisch-taktische Prinzipien (keine Abläufe!) zu vermitteln und gleichzeitig Wahrnehmung, Technik, Beweglichkeit, Koordination und (Vor)Orientierung ganzheitlich zu schulen. Ich habe dazu mal vier beispielhafte Spielformen samt Erklärungen angehängt. Für Kinder im Alter bis 11 Jahre würde ich zwar kein Sechsfelderrondo oder das Octagon machen, aber die anderen Spielformen sind durchaus auch für Kinder geeignet. In allen Spielformen sind hohe Pässe verboten.
Ein ganz wesentliches Problem, das ich mit isolierten Technikübungen habe, ist, dass das Fußballspiel dabei viel zu simpel gedacht wird. Fußball ist die vielleicht komplexeste Sportart, die es gibt. Unzählige Faktoren wirken zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Und noch immer denken viele Trainer, sie könnten Kontrolle über diese Komplexität gewinnen, indem sie das Spiel bis in seine kleinsten Einzelteile zerlegen und dann nach und nach wieder zusammensetzen. Aber so funktioniert Fußball einfach nicht.
So werden etwa ganz oft technische Fehler gesehen, wo gar keine sind, weil die beobachtenden Trainer nicht die komplexen Zusammenhänge von Wahrnehmung, Entscheidung, Orientierung und Ausführung (Technik) erkennen. Wenn bspw. ein Spieler den Ball bekommt und sich dann aufdreht, während in seinem Rücken ein Gegenspieler naht, verliert er in der Regel den Ball. Aber nicht, weil er keine gute Technik hat, sondern weil er den herannahenden Gegner mangels Schulterblick oder schlechter Orientierung übersehen hat.
Ich beobachte zudem sehr häufig, dass Spieler in engen Räumen katastrophal zueinanderstehen.
Blickfelder und Verbindungen.bmp
Im linken Bild stehen die drei Grünen gut zueinander. Egal, wer hier den Ball hat, er könnte zu jeweils beiden Mitspielern ohne Probleme einen Pass spielen. Im rechten Bild ist Spieler 1 von seinen Mitspielern weggedreht. Hat er den Ball, kann er Spieler 2 nicht nutzen und Spieler 3 nur über einen technisch schweren 90°-Pass anspielen. Solche Staffelungen oder Verbindungen sehe ich bei sehr vielen Spielern oder Mannschaften, die kaum Erfahrungen in engen Räumen haben. Typischerweise sind das Mannschaften, die kein gutes Aufbauspiel haben und das Zentrum meiden.
Von sämtlichen Trainern, mit denen ich mich darüber unterhalte, wird die schlechte Technik der Spieler dann als Ursache für das schwache Pass- und Aufbauspiel genannt. Keiner erkennt, dass die schlechten Verbindungen in Folge schlechter Orientierung das eigentliche Problem sind. Ein gutes Passspiel ist in erster Linie von den Verbindungen der Spieler untereinander abhängig. Gute Verbindungen verringern die technischen Schwierigkeiten, weil die Passdistanzen kleiner sind und sich nicht mit Ball am Fuß aufgedreht werden muss, was Zeit kostet und Gegnern die Gelegenheit gibt, in Zweikämpfe zu kommen. Wenn man sich mal die Strukturen von Barca unter Guardiola ansieht (insbesondere die zwischen Xavi, Iniesta und Busquets), erkennt man, dass man kein Übertechniker sein muss, um hier einen Pass sauber ans Ziel zu bringen. Dennoch sind die drei Genannten natürlich überragende Techniker. Es geht darum, den Gegner stets in eine strukturelle Unterzahl zu zwingen (meist 3-gegen-1-Situationen), damit er nicht an den Ball kommt.
Die Schaffung solcher Strukturen kann aber nicht in Isoübungen vermittelt werden. Mittels isolierter Passübungen werden nämlich lediglich Abläufe und reine Bewegungswiederholungen behandelt. Aber sobald ein Gegner auf den Plan tritt, brechen Ablauf und Bewegung unweigerlich zusammen. Stattdessen werden Prinzipien benötigt, die alle Spieler verinnerlicht haben und situativ nutzen.
Ballan- und Mitnahme werden ebenso wie das Passen in solchen Positionsspielformen implizit geschult, weil sich die Spieler ständig auf attackierende Verteidiger einstellen und anpassen müssen. Da der Raum in meinen Spielformen recht klein ist, ist man ständig in irgendwelchen zweikampfartigen Situationen oder versucht zumindest, diese zu meiden. Die Notwendigkeit, hier das richtige Timing beim ersten Kontakt zu haben und den Ball in die situativ passende Richtung weg vom Gegner mitzunehmen, oder eine gezielte Körpertäuschung zu machen, ist für die Verbesserung der Ballverarbeitung viel besser geeignet als isolierte Übungsformen. Denn hier haben die Spieler sofort eine Rückmeldung darüber, was Ihre Entscheidungen und Aktionen für Konsequenzen haben. Klappt eine Aktion, wird sie beibehalten und ggf. situativ angepasst. Misslingt eine Aktion, werden neue Lösungen ausprobiert, bis sie erfolgreich sind. Das ist ein fortwährender Selbstorganisationsprozess, der bei den Spielern abläuft. Und das ist insbesondere bei Kindern der Fall. Die Auswirkungen auf die Technik lassen sich dabei durch den differenziellen Lernansatz erklären.
Erst dann, wenn Spieler wiederholt die gleiche Lösung nutzen und diese nicht zum gewünschten Erfolg führt, greife ich ein und coache explizit. Ich korrigiere aber niemals Bewegungen bzw. Techniken.
Für viele ist die Anzahl der Ballkontakte in Isoübungen ein großer Vorteil ggü. Spielformen. Davon abgesehen, dass ich bezweifle, dass es tatsächlich zu mehr Ballkontakten kommt, ist für mich die Qualität der Ballkontakte viel wichtiger. Ein Ballkontakt unter Gegnerdruck fordert in den Bereichen Wahrnehmung, Entscheidung, Orientierung etc. zahllose Fähigkeiten, wohingegen in Isoübungen all das vom Trainer bis ins Detail vorgegeben ist. Wie sollen Spieler unter solchen Voraussetzungen Erfahrungen sammeln? Ein nachhaltiger Lernprozess kann so doch gar nicht einsetzen. Bei Kindern führt das sogar nachweislich zu einer verminderten Wahrnehmung und infolgedessen zu einer Behinderung ihrer Kreativität, weil sie nicht lernen, selbständig potenzielle Lösungen zu erkennen; geschweige denn zu nutzen. Das Ziel muss es sein, dass sich die Spieler ein intuitives Erfahrungswissen aneignen können, mit dessen Hilfe sie in der Lage sind, möglichst jede Situation sowohl individuell als auch als Mannschaft passend lösen können.
Also auch im Bereich der Ballan- und -mitnahme ist nicht (nur) die reine Technik entscheidend, sondern wiederum Elemente wie Wahrnehmung, Entscheidung, Orientierung usw. Insofern sind abermals Spielformen ein ausgezeichnetes Instrument zur Verbesserung.
Kommen wir abschließend zum Dribbling und Fintieren: Hier behauptet ja eine berühmte Fußballschule aus einer Süddeutschen Landeshauptstadt, man müsse 100 Finten/Tricks beherrschen. Vielleicht sollte das mal jemand Lionel Messi oder Arjen Robben sagen… Natürlich können Tricks hilfreich sein und ich würde auch jeden Spieler dazu ermutigen, sich auszuprobieren, aber eine solche Zahl ist völlig aus der Luft gegriffen. Außerdem ist auch hier wieder nicht nur die Technik entscheidend. Sehen wir uns mal ein für Andres Iniesta typisches Dribbling und Fintieren an:
Iniesta nutzt hier gegen Cavani lediglich eine zur Situationsdynamik passende leichte Körperdrehung und Geschwindigkeitsänderung. Mir kann keiner erzählen, dass das technisch anspruchsvoll ist. Das tatsächlich Schwierige sind das Timing der Drehung und die kurze Tempoverschleppung. Die müssen dazu führen, dass der Gegner reagiert. Tut er das, muss wiederum der passende Moment erkannt und dann im passenden Winkel wegbeschleunigt werden. Also abermals sind Wahrnehmung und Entscheidung ganz wesentliche Faktoren, die hier (zusammen mit der Technik) den Ausschlag über Erfolg und Misserfolg geben. All das kann ich nicht adäquat trainieren, wenn die Spieler Hütchen austricksen sollen oder in stupide 1-gegen-1-Situationen geschickt werden. Denn Iniestas Finte hätte niemals funktioniert, wenn er in einer 1-gegen-1-Übung gewesen wäre, weil der Verteidiger dort nicht damit rechnen muss, dass der Ballführer einen Pass antäuscht, oder dass eine Tempoänderung nur zur Vorbereitung einer Finte genutzt wird, aber nicht als Finte selbst. Denn es sind ja nur diese beiden Spieler an der Situation beteiligt.
Und genau das ist auch der Grund, warum ich es für absolut fatal halte, dass hier im Forum für den Jugendbereich ein so großer Fokus auf Individualtaktik und vereinzelt sogar Technikübungen gelegt wird, wohingegen Gruppen- und Mannschaftstaktik überwiegend abgelehnt werden. Der hochkomplexe Fußball wird so in Einzelteile zerlegt, die nur noch wenig mit dem tatsächlichen Spiel gemein haben. Die Folge ist, dass wir keine Mannschaftsspieler ausbilden. Das 11-gegen-11 wird somit letztlich zu einem 11x 1-gegen-1.
Isoliertes Techniktraining hat durchaus seine Effekte. Das stelle ich gar nicht in Abrede. Aber der Nutzen ist extrem begrenzt, weiletwaige Verbesserungen eher kurzweilig und nur auf die reine Technik bezogen sind. Unter Gegnerdruck bricht das in aller Regel zusammen. Und wenn ich mindestens die gleichen Effekte in Spielformen erreichen kann, wo ich gleichzeitig alle anderen Aspekte trainiere, sind Isoübungen für mich Zeitverschwendung und taugen höchstens als aktive Erholung oder wenn Kinder unbedingt Torschuss machen wollen. Natürlich ist es nicht leicht, die passenden Spielformen samt Sonderregeln zu finden, um bestimmte Dinge gezielt zu trainieren. Keine Frage! Das benötigt Zeit, eine Menge Erfahrung und auch ein gewisses Vertrauen in diese Methodik. Dass das für viele Überwindung kostet, kann ich durchaus verstehen.
Ich stehe jedem gerne zur Verfügung, der es ausprobieren möchte. Ihr sagt mir, was Ihr trainieren wollt und bekommt Vorschläge für Spielformen. Hilfreich sind dann auch Videos von Euren Durchläufen, damit ich das analysieren kann (vorausgesetzt, es darf wieder trainiert werden), um darauf aufbauend das weitere Vorgehen zu planen.