Wie wichtig ist die Sprungkraft

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  • Liebe Trainerfreunde!


    Immer wieder taucht im Zusammenhang mit günstigen Fähigkeiten von Spielern und Torleuten die Sprungkraft auf. Insbesondere im Strafraum glaubt man, die Höhenvorteile besonders nutzen zu können. Sprungkraft kann fehlende Körperlänge kompensieren.


    In der klassischen Betrachtung gab es mit Horst Hrubesch das "Kopfballungeheuer". Nach ihm gab es insbesondere mit Miro Klose einen zentralen Angreifer, dessen Sprungkraft mit besonderer Torgefahr verbunden ist. Nach der Einführung der 4-er Kette suchte man sich IV mit entsprechenden Fähigkeiten zur Erlangung der Lufthoheit im torgefährlichen Bereich.


    Bei den Torleuten favorisiert man große Torleute. Man gestattet jedoch auch kleineren Keepern den Stammplatz, wenn sie ihre fehlende Körperlänge durch besondere Sprungkraft ausgleichen können.


    Weil jedoch das moderne Spiel insbesondere durch den Spanischen Fussball in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert wurde und man dort weitestgehend den Ball "flach" hielt, stellt sich die Frage, ob das Kopfballspiel noch die selbe Bedeutung hat. Spielintelligenz kann scheinbar weitestgehend auf hohe Bälle verzichten, weil es das Spiel häufig verlangsamt, indem der Ball beim hohen Zuspiel zunächst kontrolliert werden muß. In den Top-Teams rollt dementsprechend die Kugel vorwiegend. Nur dann, wenn ein weiter Pass das Spiel öffnen soll, gibt es mal einen hohen Ball.


    Auch der Torwart wurde vom Torlinienathleten, der von seiner enormen Sprungkraft lebte, hin zu einem "mitspielenden" Torraumspieler, dessen Aktionsradius immer größer wurde, verlagert. Als eine Form des "Mitspielens" wurde das Stellungsspiel des Keepers soweit verfeinert, dass er schon unmittelbar vor dem Ball an der Stelle befindet, wohin der Ball gepasst wird und so selbst dem sprunggewaltigsten Angreifer das Leder vor der Nase wegschnappt, bzw. faustet oder lenkt. Sprungkraft wird dann lediglich zum Ausbügeln von Stellungsfehlern benötigt. Dies wird jedoch immer schwieriger, weil der Ball nicht mehr so häufig lang (und hoch) gepasst, sondern mit hohem Tempo aus kurzer Distanz flach in den torgefährlichen Raum gespielt wird. Um so wichtiger erscheint es, dass der Keeper rechtzeitig schon dort ist, wo er sein soll, statt erst noch dort hin laufen oder springen zu müssen.


    Gern würde ich eure Meinungen dazu hören, ob Sprungkraft nach euren Meinungen nach wie vor die selbe Bedeutung im Fussball hat oder ob es hier eine Veränderung gegeben hat?

  • In Bezug auf das TW-Spiel habe ich sicher nicht sehr viel Kompetenz, aber dennoch mein Eindruck:


    Ja, das TW-Spiel hat sich gewandelt, so wie Du es ja beschreibst. Generell hat sich die Zahl der hohen Flanken verringert. Dennoch ist die Sprungkraft mMn unverändert weiter extrem wichtig. Zum einen gibt es die hohen Flanken ja weiterhin (auch wenn es vielleicht weniger geworden sind). Aber man denke nur mal an die Ecken und Freistöße, die hoch vor's Tor kommen. Bei den wenigen Toren, die oft fallen, kann eine solche Situation die Entscheidung bringen. Blöd, wenn dann der TW nicht dran kommt, weil der Gegner mit dem Kopf höher kommt als der TW mit den Händen. Und zum anderen benötigt der TW weiterhin seine Sprungkraft, um die Torfläche möglichst gut abdecken zu können. Nicht alles kann man durch Stellungsspiel kompensieren. Auch hier würde ich sagen, dass die extremen Flüge seltener zu sehen sind. Aber wenn es sein muss, muss der TW es halt können.


    Grüße
    Oliver

  • Hallo zusammen,


    tja, das mit der Sprungkraft ist so eine Sache. Sie ist in meinen Augen immer noch wichtig, aber bei weitem nicht mehr das wichtigste. Viele Situationen werden vorher antizipiert und dadurch schon früher entschärft. Dennoch ist die Sprungkraft wichtig, weil der Torhüter im Zweifelsfall sein Fehlverhalten dadurch noch ausbügeln kann. Sie hat in meinem Training nur die Wertigkeit gewechselt, sprich die Sprungkraft steht in meiner Trainingslehre mit Ballkoordnination, Schnellkraft, Reaktion usw auf einer Stufe und nicht mehr über diesen Dingen.


    Jedoch sollten die konditionellen Elemente im TW-Training immer noch regelmässig trainiert werden. Es sollte jedoch nicht mehr sein, daß aussschließlich konditionelle Elemente das TW-Training bestimmen...


    LG BMW

  • Blöd, wenn dann der TW nicht dran kommt, weil der Gegner mit dem Kopf höher kommt als der TW mit den Händen. Und zum anderen benötigt der TW weiterhin seine Sprungkraft, um die Torfläche möglichst gut abdecken zu können.

    Sehr gut beobachtet! Das ist auch der Grund, warum es im oberen Jugendfussball selten einen Sinn macht, eine Keeperin in eine Juniorenmannschaft zu stellen. Denn sie verfügt nicht über die Körperlänge und Sprungkraft, um mit den Händen an den hohen Ball zu gelangen, sodass ein gegnerischer Angreifer das Leder leicht einnetzen kann. Sehr viele weibliche Torleute haben Probleme mit hohen Bällen, wenn sie nicht über das entsprechende Stelungsspiel sowie den speziellen Sprungtechniken verfügen.


    Etwas anderes ist es bei den männlichen Keepern nach der Pubertät. Hier ist bei ausreichendem, vielseitigen Training davon auszugehen, dass selbst bei Keepern unter 1,80 genügend Sprungkraft vorhanden ist, um hohe Flanken vor den gegnerischen Kopfball zu rennen. Hat der Keeper jedoch das entsprechende Stellungsspiel nicht gelernt und kann diese Situationen zu spät antizipieren, so nützt ihm weder seine Körperlänge noch Sprungkraft herzlich wenig, wenn er nur mal zufällig "an Ort und Stelle" steht!


    Wir Deutschen sind ja ein Volk von Sicherheitsfanatikern! Nichtsdestotrotz ist die provokative Frage erlaubt, ob man eine Eigenschaft (Sprungkraft - Körperlänge) nur deshalb besitzen soll, um Fehler zu korrigieren? Wäre es nicht besser, man würde diese Fehler minimieren, indem man ein differenziertes Stellungsspiel trianieriert?


    Off topic
    Zur Verdeutlichung dieses Themas ein Gedanke! ich werde häufig gefragt, welche TW-Handschuhe die besten sind! Meist stelle ich eine Gegenfrage und möchte wissen, was denn gute TW-Handschuhe alles können sollen! Nach der mehr oder weniger langen Aufzählung frage ich dann, warum denn die Handball-Keeper keine Handschuhe tragen? Irgendwann "klingelt" es dann meist, dass nicht die Handschuhe, sondern die Hände des Torwarts den Ball fangen, fausten oder lenken. Was er wann zu tun hat, das können ihm selbst die teurersten Handschuhe nicht verraten. Wäre es nicht besser, die Neugier an dieser Position zu wecken, so dass der Keeper jeden Ball fangen, fausten oder lenken kann?

  • HAbe gerade wenig Zeit.


    Will aber kurz einwerfen, dass die Sprungkraft idR auch mit der Dynamik korreliert.
    So wierden auch Sprungtests mit Spielern gemacht, die aber Aussage vor allem bezüglich der Dynamik treffen sollen.


    Und für einen Torwart ist Dynamik ja auch nicht unwichtig.
    Sowohl die reine Lauf-Schnelligkeit hat eminent an Bedeutung gewonnen, da der TW als Libero agiert, als auch Dynamik im spezifischen Torwartspiel einiges bewirkt. Nicht nur bei Flanken, sondern auch beim Torwartspiel auf der Linie.

    "Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill

  • Ich finde es muss bei einer Weiterentwicklung des Torwartspiels (bzw einer Position an sich) nicht immer eine Zurückentwicklung einer Komponente geben. Das liegt daran dass sich gewisse Situationen (in unserem Fall hier zB Flanken etc) immer noch elementarer Spielbestandteil sind, und der Fußball zunächst einen Grundlegenden und tiefgreifenden Wandel vollziehen muss damit in Anforderungsprofilen auf gewisse Komponenten verzichtet werden kann. Dazu bedarf es aber einer kontinuierlichen Entwicklung über 20-25 Jahre minimum wobei sich der Fußball ja auch nicht geradlinig entwickelt sondern sich verschiedene Modell auch abwechseln und in der Buli beispielsweise locker 10-15 Philosophien vorherrschen und man den Fußball nicht auf ein System und ein Modell runterbrechen kann weil der Komplexität des Spiels nicht genüge getan wäre.


    Weiterhin wird die Sprungkraft eine Schlüsselkompetenz des Torwartspiels bleiben, da sie sich gut mit der Strafraumbeherrschung ergänzt.


    Wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt? Ich denke dass sich hier ein Trend der letzten Jahre verstärkt und der Fußballspieler zunehmend zum Allrounder wird (und die Anzahl der Mittelfeldspieler wird sich dadurch noch erhöhen in einigen Systemen, ich halte zB bei Barca und ähnlichen Philosophien ein 3-7-0 für denkbar und wahrscheinlich). Genauso wird der Torwart zunehmend ins Spiel eingebunden wie schon die letzten 15 Jahre (davon besonders die letzten 3-5 Jahre) und wird immer mehr Dimensionen benötigen.

    "Der Chef auf dem Platz ist die Spielsituation" (Karsten Neitzel)

  • Danke für eure Beiträge! Ganz richtig und wichtig ist die Bewegungsdynamik. Egal in welche Richtung es geht, ist es besonders wichtig, als Erster am Ball zu sein, denn nur dann hat man die aktivere Entscheidungsoption. Doch widerum ist der erste Schritt entscheidend. Wie lange braucht der Keeper für seine Entscheidung zum Sprint oder zum Sprung und kann er ihn mit beiden Beinen gleichermaßen gut starten bzw. abspringen? Ist er lediglich mit dem stärkeren Bein in der Lage, so dauert es auf der schwächeren Seite länger und leider manchmal zu lange, bzw. gerät der Sprung zu kurz. Früher sagte man: "der Torwart hat eine schwache Ecke", heute bemüht man sich dieses Defizit zu minimieren. (gibt übrigens einen schönen Test, womit man die unterschiedliche Stärken beider Seiten messen kann) Ein Torwart braucht gleichstarke Beine, weil sich Fehler beim Absprung nach vorn bzw. nach oben hin fortpflanzen. Er sollte gleichstarke Körperhälften haben, denn nur dann ist er in der Lage einen günstigen Schwerpunkt einzunehmen, um genügend Dynamik ist seinen Absprung zum Sprint oder in die Höhe zu besitzen.


    Nein, ich sehe keine Rückentwicklung darin, wenn man die Ausbildung der Torleute aufs moderne Spiel anpasst. Eine andere Frage stellt sich jedoch schon: was hat das Ganze noch mit der Körperlänge zu tun? Wenn andere Faktoren sehr viel wichtiger sind? Es ist die unterschiedliche Gewichtung! Wenn ein Keeper über ein verfeinertes Stellungsspiel verfügt, dann genügt es, wenn er sich rechtzeitig dort positioniert, wo er bei einer hohen Flanke stehen sollte. Aber nicht nur er, sondern die gesamte Defensive hat die Aufgabe, den torgefährlichen Raum abzusichern.


    Die größtere Veränderung liegt m.E. darin, das zunehmend offensive Aufgaben (Libero-Funktion) hinzu kommen. Darin enthalten sind weitaus weniger Situationen, in denen der ideale Platz des Keepers auf der Torlinie ist. Denn dort ist die Torfläche für ihn am größten und dort ist die Chance im Nachfassen erfolgreich zu sein, am geringsten, weil ihm der Raum nach hinten hin fehlt.


    Wie sich die Aufgaben des Keepers weiterhin entwickeln werden, ist schwierig zu sagen. Denn wer hätte schon gedacht, dass sie sich in den letzten 10 Jahren im Leistungs- und Profifussball so deutlich veränderten. Allerdings glaube ich nicht, dass Muskelmasse und Körperlänge, sondern die Geschwindigkeit, zu den jeweils besten Situationsentscheidungen zu gelangen, sich weiterhin zur Schlüsselkompetenz entwickeln wird. Der dumme Torwart, der sich trotz größter Verletzungsgefahr in den Tumult stürzt, wird durch den intelligenten Keeper, der sich den Ball schon gegriffen hat, bevor er in den Tumult gelangt, ersetzt werden. Denn Fussball wird immer mehr vom Kopf in den Fuss gespielt werden! Ein Messi, ein Ronaldo, ein Neuer haben nicht nur ihre Positionen neu erfunden, sie haben auch dazu beigetragen, dass ihre Kollegen von den Veränderungen im Fussball profitieren.


    Weil der Breitensport weiterhin versuchen wird, Teile des Leistungs- und Profifussballs zu imitieren, werden sich auch dort die Anforderungen verändern. Was ebenfalls nichts mit einer Rückentwicklung zu tun hat, sondern mit verändertem Anforderungsprofil.


    Aber natürlich kann ich mich irren und wir werden in 10 Jahren Torleute mit min. 2 Meter Länge haben, die mit ihrer enormen Sprunggewalt und Dynamik auf der Torlinie nahezu perfekt sind, sodass sie keinen Schritt mehr nach vorn wagen müssen, weil ihre Kollegen diesen Job besser machen.