N'abend!
Nachdem ich nach langjähriger Trainertätigkeit die letzten 2 Jahre komplette Fußballpause hatte, stehe ich seit kurzem wieder auf dem Trainingsplatz. Diesesmal lediglich als Zuschauer / Spielervater, da mein 7jähriger Nachwuchs nun doch noch sein Interesse am Fußball entdeckt hat. Dabei habe ich mitbekommen, dass hier im Kreis mit dieser Saison die Fair-Play-Liga in der F-Jugend eingeführt wurde. Also habe ich mich in die Thematik eingelesen. Dabei habe ich viele Punkte entdeckt, die durchaus erstrebenswert sind, halte das Gesamtkonzept aber aufgrund diverser Erfahrungen aus meiner Trainerzeit für nicht praktikabel (zumindest in diesem Fußballkreis nicht). Hauptgrund: Sowas kann nur funktionieren, wenn ALLE (Verband, Vereine, Trainer, Eltern, Kids) mitziehen. Und genau daran glaube ich hier vor Ort einfach nicht.
Aber nun gut, geben wir dem ganzen mal ne Chance. Denn nachdem ich viel drüber gelesen hatte, hatte ich am Wochenende die Gelegenheit mir das
Ganze mal anzuschauen und mich durch Tatsachen eines besseren belehren zu lassen. - Dachte ich zumindest.
Am Sonntag durfte mein Sohn das erste Mal mit zum Spiel. Ich war gespannt – zum einen natürlich, weil es das erste Spiel meines Sohns war, zum anderen, weil ich mir die Fair-Play-Liga mal live angucken konnte. Was ich zu sehen bekam, war dann aber ein ganz gewöhnliches F-Jugend-Spiel. Mit Schiedsrichter, mit „stark engagierten“ und teilweise offenkundig unzufriedenen (mit Schiedsrichter und der eigenen Truppe) Trainern und sogar mit Eltern, die in der Halbzeit fremden Kindern mit Nachdruck gesagt haben, was sie in der zweiten Halbzeit besser machen müssen.
Seitdem läßt mich dieses Thema aber nicht mehr los. Zu der Frage, ob und wie die Fair-Play-Liga hier im Kreis funktionieren könnte, fallen mir ständig neue Unterfragen ein, die mich momentan immer noch zu einer "darum funktionierts nicht"-Antwort führen. Der heutige Gedankengang beschäftigt sich mit der Konkurrenzsituation der Vereine untereinander. Die halte ich aufgrund der geographischen Gegebenheiten für äußerst verschärft und hätte hierzu gerne ein paar ungefähre Vergleichswerte aus Kreisen, in denen die Fair-Play-Liga schon länger angekommen ist und funktioniert.
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Also:
a) Hier im Kreis nehmen 38 Vereine am Spielbetrieb teil.
b) 33 davon haben mindestens eine Jugendmannschaft.
c) 29 davon haben mindestens drei Jugendmannschaften.
d) Nur 9 Vereine haben von der F bis zur A alle Altersklassen besetzt. (Auf immerhin 14 kommt man, wenn man die hier meist kurzlebigen Spielgemeinschaften mit hinzuzählt).
Der Kreis besteht aus einer Stadt mit etwa 240.000 Einwohnern sowie einigen außerhalb gelegenen unabhängigen Gemeinden, wobei ca. 20 der 33 Vereine mit Jugendteams zum direkten oder erweiterten Stadtgebiet zu zählen sind.
4 der unter Punkt d) genannten Vereine sind als leistungsorientiert einzustufen. 2 stammen aus den unabhängigen Gemeinden. 1 Verein ist ein Großsportverein mit gefühlten 247 verschiedenen Sparten. 1 Verein richtet sich vor allem an türkische Mitbürger. Im Stadtgebiet bleibt also nur ein 1 Verein übrig, der es ohne offenkundige Leistungsorientierung oder einen besonderen Bonus schafft, alle Altersklassen zu besetzen. Und dieser Verein liegt auch noch am äußersten Rand.
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(Der Absatz zwischen den beiden Trennlinien ist der, für den ich gerne Vergleichswerte hätte)
Da ich davon ausgehe, dass es überall in Deutschland generell immer weniger Nachwuchskicker gibt, wird dem aufmerksamen Leser sicherlich schon aufgefallen sein, dass hier im Kreis langfristig angelegte Spielgemeinschaften oder gar Vereinszusammenschlüsse absolut angebracht werden. Aber Pustekuchen. Es gab zwar immer wieder halbherzige "Verlobungen", die meisten wurden nach dem ersten Streit aber wieder gelöst. Die Konkurrenzsituation ist also ungebrochen.
Meine These im Bezug auf die Fair-Play-Liga lautet in diesem Punkt also: Sie kann in diesem Kreis nicht funktionieren, weil die Vereine um jeden Spieler kämpfen müssen ... und das mit allen Mitteln.
Zum Vergleich: Als ich mit "meinem" Jahrgang (99) in der F war, gab es dort 80 Mannschaften. Jetzt ist dieser Jahrgang alter Jahrgang C und es gibt noch 31 Mannschaften. Je nachdem welche Kadergröße man ansetzt, kommt man auf einen gewaltigen Spielerschwund. Ich habe für ne F mal 12 Kinder angesetzt und für ne C 18. Wenn diese Annahme stimmt, waren zu F-Jugend-Zeiten 960 Kicker der Jahrgänge 1999/2000 aktiv. Jetzt zur C-Jugend sinds noch 558.
In dieser Saison sinds gerade noch 49 F-Mannschaften, die sich auf 27 Vereine verteilen. 9 dieser Vereine bringens nur auf eine F, also nichtmal mehr auf eine eigenständige Mannschaft pro Jahrgang. Aus dieser ganzen Situation schließe ich einen nicht gerade geringen Erfolgsdruck - auch schon in der F. Denn: Nach und nach werden einige dieser 49 F-Mannschaften "aussterben". Will man als Verein / Trainer in diesem Jahrgang weiter existieren, muss man von den aussterbenden Mannschaften "abgreifen". Denn wohin wechseln denn die Kids, wenn ihre Mannschaft nicht mehr weiterbestehen kann? Da es in der heutigen Gesellschaft allgemein cooler ist, zu gewinnen und obendrein die Eltern ein gehöriges Wort mitzureden haben, werden sie zu einem erheblichen Großteil der Fälle zum "starken" Team wechseln, deren Trainer einige Siege "ersteuert" hat und nicht zum "schwachen" Team, dessen Trainer ganz gelassen zuschaut und seine Jungs nicht energisch aufweckt, wenn gegnerische Kicker frei vorm Tor stehen. (Die Kids, die dem Leistungsgedanken nicht ganz so verbunden sind, werden vermutlich ebenfalls nicht unbedingt zum "schwachen" Team wechseln, sondern sich eher ne andere Beschäftigungsmöglichkeit suchen.)
Wie ganz am Anfang erwähnt, ist dies nur einer der Punkte, die mich an der Fair-Play-Liga in diesem Kreis zweifeln läßt. Dass bei weitem nicht alle mitziehen werden, ist für mich offenkundig. Der Verband hat da vermutlich auch sämtliche Überzeugungsarbeit ausgelassen. In den Durchführungsbestimmungen finden sich gerade mal folgende Sätze zu dem Thema: "Die F- Jugend spielt in der neu geschaffenen „Fair-Play-Liga“.In der „Fair-Play-Liga“ werden keine Schiedsrichtermehr eingesetzt. Die Trainer halten sich in der Coaching Zone an der Seite des Spielfeldes auf". Von sowas wie einer Infoveranstaltung ist mir nichts bekannt. So lasch eingeführt, wäre das Konzept wohl nicht nur in diesem Kreis eine Totgeburt.
Vielleicht war das am Spiel, dass ich mir am Sonntag anschauen durfte, ja aber auch nur ne Ausnahme und beim nächsten Spiel sieht alles schon wieder ganz anders aus. Bis dahin glaub ich aber weiterhin nicht daran, dass dieses Konzept hier im Kreis funktioniert.