Ich würde nicht zulassen, dass mein Sohn von seinem Trainer angebrüllt wird. Da würde ich zeitnah mal bei der Jugendleitung nachfragen, ob das so sein soll. Wenn man dort der Meinung ist, das sei so in Ordnung, dann ist das definitiv der falsche Verein und ich kann dir nur raten lieber heute als morgen zu wechseln. Talentförderung und Leistungsfußball hin und her, das wichtigste ist doch, dass Fussball Spaß macht. Wir sprechen hier von einem Hobby. Welcher Idiot würde sich ein Hobby suchen, dass ihm keinen Spaß macht?
Zu unserem aktuellen C-Jugendkader gehört übrigens auch ein "Rückkehrer", der vor drei Jahren zum "großen" Nachbarverein ging, um dort höherklassig zu spielen und seit einem Jahr wieder zurück ist. Dieser Verein nimmt auch für sich in Anspruch "Leistungsfußball" zu betreiben. Niemand hat ihm diesen "Ausflug" übel genommen, im Gegenteil sind alle froh, dass er wieder da ist und den Kader verstärkt. Er kam in desolatem Zustand von eben diesem "Leistungsverein" zurück, hat fast ein Jahr gebraucht, um zu alter Stärke zurück zu finden. Jetzt sprüht er wieder vor Ehrgeiz, trainiert zusätzlich und freiwillig noch einmal die Woche bei der B-Jugend mit. Man kann förmlich sehen, dass ihm Fußball wieder Spaß macht. Ein anderer, der seinerzeit mit ihm ging, ist immer noch bei diesen Verein. Spielt dort als älterer Jahrgang in der zweiten Mannschaft und kommt kaum zu Einsatz. Er wird dort nie das angestrebte Ziel "oberste Jugendspielklasse" erreichen und Spaß kann das auch nicht machen. Für ihn und (oder seine Eltern) wäre eine Rückkehr zu uns aber eine persönliche Niederlage. Zuletzt war der Wechsel zu einem anderen Dorfverein im Gespräch, obwohl ich mehrfach gesagt habe, dass wir ihn gerne wieder aufnehmen würden. Verstehen kann ich sowas nicht.
Und noch etwas aus ganz persönlicher Erfahung: Mein Sohn wurde vor zwei Jahren in die Kreisauswahl bzw. für den Stützpunkt gesichtet. Danach hatten wir Probetrainings bei zwei Erstligisten, wofür es eindeutig nicht gereicht hat. Für mich war damit das Thema "hat das Zeug für mehr" durch. Der selbst ernannte "Leistungsverein" in Kreis hätte ihn gerne gehabt. Wir haben uns damals ganz bewußt dagegen entschieden, weil es dort ähnliche Auswüchse gibt, wie die, von denen du berichtest. Also sind wir beim heimatlichen Dorfverein geblieben. Warum? Wegen Spaß am Fußball. Weiß man, dass der eigene Sprössling für die wirklich "höheren Aufgaben" nicht in Frage kommt, lässt es sich leichten Herzens genau darauf reduzieren. Am Ende spielt es doch keine Rolle, ob man nun eine Klasse höher oder niedriger spielt.
Am Stützpunkt war er zuletzt dann auch der einzige, der nicht höherklassig gespielt hat, trotzdem konnte er sich dort immer durchsetzen. Vor einiger Zeit hat er nun dort aufgehört, weil es ihm schon seit längerem keinen Spaß mehr gemacht hat. Das habe ich positive begleitet, denn warum sollte er in seiner Freizeit etwas tun, das ihm keinen Spaß bereitet? Das heißt allerdings nicht, dass er seine fußballerischen Ansprüche aufgegeben hat. Die hat er nach wie vor. Im Verein spielt und trainiert er mit wachsender Begeisterung, schiebt sogar freiwillig Extraschichten. Im Sommer sind einige seiner Freunde von Nachbarvereinen zu uns gekommen, obwohl wir nur Kreisklasse spielen und sie im alten Verein hätten Leistungsklasse spielen können, aber eben mit einem Brüllaffen als Trainer. Wir versuchen etwas aufzubauen, mit (zum Teil) talentierten Spielern, mit hohem Anspruch an die Ausbildung und auch gewissen sportliche Ziele, aber mit ebensoviel Spaß und ohne Leistungsdruck. Ich bin der festen Überzeugung, dass nur so eine sportliche Entwicklung gewährleistet ist.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn man einen talentierten Jungen hat, hat man natürlich das Bestreben, ihn bestmöglich zu fördern, der Gang zum größeren Verein ist da aber halt nicht zwingend immer der beste Weg. Man sollte auch keine Angst davor haben, eine Entscheidung zu revidieren, wenn man feststellt, dass mal daneben gegriffen hat. Das Leben ist schließlich keine Einbahnstraße.