Wir Trainer probieren zu oft unsere bekannten Bewegungsmuster den Spielern beizubringen, aber dabei schränken wir die Spieler gleichzeitig ein. Wir müssen mehr Vertrauen in die Spieler haben. Wir haben Angst, dass die Spieler die Bewegungen nicht lernen, wenn wir es ihnen nicht zeigen. Jeder lernt aber seine eigenen Bewegungen, die er dann effektiv im Spiel anwenden kann.
Das sieht man doch bei den ganzen sog. Straßenfußballern. Es gibt keine zwei Spieler, die gleich spielen. Daher macht es auch keinen Sinn jemanden nachzueifern.
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Im meinem Training erlebe ich es immer wieder, dass Kinder plötzlich Bewegungen zeigen, die ich ihnen nie extra gezeigt habe. Durch das provozieren geeigneter Differenzen entwickeln sich die motorischen Fähigkeiten von alleine. 180°-Richtungswechsel haben die meisten Kinder schon recht gut drauf, aber jeder auf seine eigene Art und Weise. Ein Kind nutzt sogar oftmals den Übersteiger. Diese Finte würde man nicht sofort als klassischen Richtungswechsel klassifizieren.
Hierzu kann ich auch etwas beitragen. Ich habe meine 2005er-Mannschaft jetzt im siebten Jahr, angefangen von der Bambini II. Vier Jungs sind seit ihrem vierten Lebensjahr bei mir, jetzt sind sie alle 11 Jahre. Andere sind mit sechs, sieben oder acht Jahren zu mir gekommen. Aber alle sind bei mir im Verein oder auf der Straße groß geworden, so dass ich eigentlich ihre komplette Vereins-"Ausbildung" kenne.
Der Input in Sachen Finten ist folgender:
- 2 Jahre Coerver Ergänzungstraining, Thema Finten/Ballbehandlung etwa 30-45 Minuten im Monat, wobei auch nur ein Finte (Rivelino) konstant eingeübt wurde
- ich habe Finten gelegentlich mal in Rundläufe eingebaut, aber inkonstant und selten
- seit etwa einem Jahr mache ich vor den Spielen ein Fintenquadrat, eigentlich ist es für mich aber eher eine Koordinations- und Aufwärmübung mit fussballspezifischen Bewegungsabläufen und Ballkontakten
Ein Fintentraining, so wie ich es bei der C-Lizenz gelernt habe (also isoliert, vom Einfachem zum Schweren), habe ich eigentlich nie gemacht.
Dafür durften sie aber viel "frei" spielen. Ich habe Finten nie kritisiert, selbst wenn sie mal zu einem unnötigen Zeitpunkt gemacht wurden. Ich habe auch so gut wie nie korrigiert (was auch damit zusammenhängt, dass ich selbst ein schlechter Fussballer bin). Für mich stand immer das Ausprobieren und die Entwicklung von selbstgefundenen Lösungen im Mittelpunkt. Die Spieler hatten und haben viele Freiheiten, angelehnt an den Straßenfussball-Gedanken. Deswegen habe ich die Jungs auch immer viel "spielen" lassen, sowohl im Training, als auch in vielen Freundschaftsspielen/Turnieren, die neben dem Ligabetrieb organisiert wurden.
Auf welchem Stand sind die Jungs denn jetzt?
- im Fintenquadrat können alle Jungs alle Finten in beide Richtungen flüssig. Das sind so etwa zehn bis zwölf verschiedene Bewegungen (wobei ich hier auch auch mal neue Varianten einbauen sollte).
- beim "Casting" zur Stützpunktauswahl konnte ich den Stand der anderen Spieler aus den Breitensportvereinen anschauen. Hier waren fast alle Spieler schlechter, einige gleichwertig und zwei, drei Überflieger besser (die jetzt aber auch ins NLZ gewechselt sind oder wechseln)
- im Wettkampfspiel unter Gegnerdruck hat jeder Spieler seine eigenen "Lieblingsfinten". Das sind meist nur zwei oder drei Tricks, die unterschiedlich oft angewendet werden.
Als Beispiel: Der Innenverteidiger macht eine Körpertäuschung oder Sohlenwende, um sich eine Sekunde vom Gegnerdruck zu befreien und einen neuen Passwinkel zu öffnen, um dann den Pass zu spielen.
Der Sechser, dem der Antritt fehlt, um vorbei zu kommen, arbeitet viel mit Körpertäuschungen, Ball hinter dem Standbein ziehen, Eindrehen oder Elasticos.
Der Dribbler, der das Tempo hat, arbeitet viel mit Abkappen und Übersteigern oder Rivelinos.
Kein Spieler fintiert im Spiel wie der andere. Die Finten, die angewendet werden, hängen maßgeblich von der Position ab, die die Jungs spielen und vor allem auch, von ihren athletischen Fähigkeiten. Jeder nutzt die Finten, die ihm für sein Spiel helfen.
Grundsätzlich denke ich, dass meine Jungs in Sachen Finten noch etwas besser sein könnten, also sie konstanter, flüssiger und mit höherem Tempo durchführen könnten. An die besten ihrer Altersklasse reichen sie wohl nicht heran. Aber die Frage ist halt, mit welchem Aufwand das verbunden wäre und zu welchen Lasten das gegangen wäre, gerade wenn man nur zweimal die Woche trainiert.
Meine Spieler sind auch nicht Teil einer Auswahl, sondern alle Breitensportspieler. Und sechs von neun 2005er-Feldspieler haben es immerhin in die Stützpunktauswahl geschafft, wo derzeit sehr viel Wert auf das 1:1 gelegt wird (die anderen drei und die zwei Torhüter sind in Sachen Finten auch nicht schlechter). Und das haben sie fast komplett ohne isoliertes Training geschafft. Freies Spiel, Ausprobieren dürfen, Spielformen, gegenseitiges Abschauen/Nachmachen und - natürlich - eine hohe Liebe zum Fussball, so dass sie den Ball auch außerhalb der Vereinszeit am Fuß haben und hatten. Aber ohne Ballkontakte in der Freizeit wird es sowieso niemand nach ganz oben schaffen...
Gruß, Christoph