Die Reaktion meines Spielers aber zeugte davon, daß sie das Einzige umsetzen, was ich wirklich von ihnen verlange: Den Willen, Fussball zu spielen, und nie aufzugeben. Ich war zufrieden. Ärgerte mich trotzdem, weil ich ihm das Tor gegönnt hätte. Aus der Ecke wurde nichts, die landete hinter dem Tor. Naja. Unser altes Schema eben.
Das 3:0 und 4:0. Zwei Eigentore. Meine Jungs warfen sich hinten in jeden Ball, der aufs Tor kam. "Werfen" ist nicht untertrieben. Egal wie, sie wollten ihn einfach abwehren... Beide Male wäre der Torwart dran gewesen, aber abgefälscht leider in die andere Richtung. Torwart sauer, Spieler sauer. Über die dummen Tore konnte ich mich gar nicht ärgern, ich war damit beschäftigt, die Jungs aufzubauen
"Mensch J.! Da hast du ja endlich ein Tor gemacht, was? Und J.? Den hättest du halten müssen! Du weisst doch, der schiesst auch im Training immer in die rechte Ecke! Allgemeine Erheiterung bei meinen Jungs. Der Zorn über die dummen Gegentore war bei ihnen mit einem Mal verflogen.
Das 4:1. Einer meiner schwächsten Spieler setzt sich ausnahmsweise mal durch, was sicher auch daran lag, das sein Gegenspieler noch langsamer war, als jeder andere auf dem Platz. Schuss mit der Picke... mehr kann er nicht bzw. versucht nichts anderes. In die Ecke, da war das Ding drin. Wow! Ich freute mich, und die Jungs sich erst recht! Dazu muss man sagen, das wir vorher einen Freistoß knapp neben den Winkel setzten, und 2 meiner Spieler lieber auf den Torwart schossen, statt in die Ecke. Meine Güte, es hätte ja jetzt sogar 4:4 stehen können!
Halbzeit
Da stand ich nun, mit 8 kleinen Jungs. Alle schauten bedröppelt zu Boden. Alle erwarteten, das ich wie gewohnt die schlechten, aber vor allem Guten Dinge ansprach. Pustekuchen! Was hatte ich denn zu meckern? Gar nichts. Die Jungs kämpften, mehr erwarte ich von ihnen ja nicht. Allerdings wollte ich sie auch nicht ganz ungeschoren davonkommen lassen... "Was sollte das denn jetzt in der ersten Halbzeit? Solltet ihr nicht Spaß haben und Tricks ausprobieren? Spaß hattet ihr, und ich hatte auch Spaß! Aber wo waren die Tricks?" Verdutzt schauten sie mich an, einige grinsten. "So sollt ihr spielen! Spaß haben, Fussball spielen, und gucken, was passiert!". Jeder der Kleinen hatte dann was zu nörgeln, sie pfiffen sich gegenseitig an, sprachen die Fehler der anderen an. Das passierte schon öfter, aber ich reagierte darauf nie großartig. Da fiel es mir aber von den Augen, wie ich zu reagieren hatte... Nachdem wirklich jeder genörgelt hatte, sagte ich "Und was sagt uns das? Jeder macht Fehler! Und? Trotzdem könnte es 4:4 stehen! Macht einfach weiter so!". Da waren die Jungs wirklich sichtlich zufrieden, und es wurde gescherzt, bis zum Beginn der zweiten Halbzeit.
Die zweite Halbzeit
Auweiah.... der Gegner gibt Vollgas, und meine Spieler zeichnen sich nur noch dadurch aus, das sie trotzdem jeden Ball erobern wollen. Das klappt auch ganz gut, manche Spielzüge waren schön anzusehen. Einige Pässe kommen "blind" (die Kinder kennen sich langsam), schöne Doppelpässe (sowas trainieren wir, immer verbunden damit, das ich sie Frage, Warum man Doppelpässe spielt, und das wird dann zusammen erarbeitet), aber vor dem Tor passiert nichts mehr. Die ein oder andere Chance gibt es noch, aber im Großen und Ganzen sind es eher Zufallsprodukte. Das wurde im Verlauf besser, aber dennoch nichts Aufregendes. Meine Abwehrspieler tauschten mit den Mittelfeldspielern die Positionen. Die Jungs sprechen sich dann mittlerweile von selbst ab, ich brauche nicht mehr eingreifen. Sie richten sich nur nach meiner Anweisung, das jede Position besetzt sein muss. Das klappt mittlerweile ganz gut. Der ein oder andere klebt an seiner Position. Der möchte gar nicht woanders spielen. Ich nehme das wohlwollend zur Kenntnis. Die Jungs finden ihre Lieblingsposition mittlerweile von selbst. Und die Lieblingsposition ist für sie mittlerweile der Teil der Aufstellung, wo sie ihre beste Leistung zeigen, das haben sie schnell gemerkt.
Die weiteren Tore zum 5:1 bis 9:1. Zwei Unhaltbare, ansonsten wieder blöde Tore. Mehr Glück als alles andere. Keiner ist mehr bedröppelt. Sie schätzen das mittlerweile selber ein, das man nicht immer nur Tore schiesst, weil man gut ist, sondern das manchmal eben auch Glück eine Rolle spielt. Mein Mittelfeldspieler, der ziemlich wenig Kraft in den Beinen hat, haut daher auch endlich mal drauf. Vielleicht rutscht er ja mal rein. Bisher sagte er immer, wenn ich fragte warum er nicht mal geschossen hat "Der geht doch eh nicht rein, ich komme nicht so weit!". Von wegen! Er schiesst, der Ball rutscht auf dem nassen Rasen, unhaltbar ins lange Eck. 9:2! Die Kids freuen sich miteinander, eine Spielertraube entwickelt sich. Alle klatschen den Torschützen ab, sogar mein Torwart rennt ihn und gibt ihm "Fünf"! Mein schelmisches Grinsen kann ich kaum verbergen... Der Jubel auf dem Platz hat den Eindruck vermittelt, als hätten wir gerade das entscheidende 1:0 im Champions League-Finale geschossen... Die Freude bei meinen Jungs über diesen eigentlich unbedeuteten Treffer stimmte mich mehr als nur zufrieden. Ich freute mich innerlich so sehr für die Kinder...
Schlusspfiff
Der Schiedsrichter pfeift ab. Als Fazit nehme ich für mich mit, das der Gegner sehr fair gespielt hat, es gab im gesamten Spiel keine Unruhe auf dem Platz. Wurde mal Beinchen gestellt, gab man sich sofort die Hand, und alles war fein! So lobe ich mir das! Da beobachtete ich etwas, was ich immer ungemein toll finde: Alle Spieler klatschten sich gegenseitig ab mit dem Kommentar "Gut gespielt!". Dazu muss man sagen, die Jungs kennen sich untereinander gar nicht, was ja eher selten vorkommt. Aber wir spielten gegen einen Verein aus einem eher ländlich gelegenen Stadtteil. Daher sind die Kinder eher nicht in denselben Schulen. Meine Jungs gingen von ganz allein zu den Gegnern, um sich für das Spiel zu bedanken. Das fand ich gut, da ich sie sonst immer darauf hinweisen muss, das sowas dazu gehört. Ich wartete auf meine Jungs. Zu beobachten war dann, das sie untereinander Zwiegespräche hielten. Sie wiesen sich gegenseitig hin, was man falsch gemacht hat, aber jeder lobte den anderen auch für die guten Aktionen im Spiel. Bisher musste ich sowas immer übernehmen.
Ich empfand das Spiel natürlich wieder etwas intensiver als die mitgereisten Eltern. Die waren der festen Ansicht, das wäre unser bestes Saisonspiel gewesen. Das empfand ich genauso, aber ich blickte etwas weiter hinter die Fassade und konnte sehen, das sich dort mehr getan hatte als nur das Spielen an sich. Der Mannschaftsgeist, der Zusammenhalt, das Füreinander-Kämpfen.... das vermisste ich immer. Plötzlich jedoch war all das auf einmal da! Ich war unglaublich stolz auf meine Jungs! Endlich verkörpern sie das, was ich als Trainer so gerne sehen möchte... eine Mannschaft! Jeder hilft jedem, keiner meckert bei Fehlern anderer. Die Kleinen sprachen lediglich die Fehler in aller Ruhe an, und die "Sündenböcke" sahen diese Fehler auch ein, gaben sogar Fehler zu, die ihre Mitspieler gar nicht gesehen hatten. Und bei allen war Zufriedenheit in den Gesichtern zu erkennen. Mit einem Lächeln kamen sie vom Platz.
Und da tat auch ich als Trainer etwas, was ich bis dahin nie gemacht hatte. Statt der sonstigen Trost-Ansprache mit all den Floskeln ("Ihr wart trotzdem gut! Kopf hoch!" <- Alles Floskeln, die ich auch so sehe, und hinter denen ich stehe!) ging ich zu jedem hin und klatschte ihn ab. Die Jungs waren in dem Moment sichtlich stolz, und vor allem waren sie nicht minder stolz als ich!
In der Kabine
In der Kabine nach dem Spiel sprach ich mein Verhalten an. Ich wollte wissen ob sie bemerkt haben, was ich diesmal anders gemacht habe als vorher. Schnell kam die Antwort "Du hast uns abgeklatscht!" Das war mir aber nicht genug. Ich fragte, warum ich das wohl getan hätte. Die Mannschaft habe heute auch etwas anders gemacht als sonst... Schon prasselten die Antwortfetzen auf mich ein... "Wir haben heute mehr gekämpft als sonst!" "Nein, wir haben heute gekämpft. Sonst haben wir immer aufgehört zu kämpfen!" "Ja! Und wir haben heute auch auf unsere eigenen Fehler geguckt!" "Genau! Und wir haben nicht immer gemeckert, wenn einer was falsch gemacht hat!" Das ist nur ein kleiner Ausriss dessen, was in der Kabine passierte. Schnell waren sich alle einig, das an dem Tag all das gemacht wurde, was in meinen Augen den Sinn im Kinderfussball ausmacht. Spaß an der Sache, Jeder hilft jedem, keiner gibt auf! Man kann zwar verlieren. Aber es macht einen Unterschied, ob man verliert, oder ob man verliert aber wenigstens kämpft und sich was zutraut! Es war eindeutig zu erkennen, das die Jungs absolut zufrieden mit sich selbst waren. Doch die Jungs haben nicht aus dem Auge verloren, das wir auch weiterhin eher als bewegliche Zielscheiben herhalten müssen in der Hinserie. In der Rückrunde wird alles leichter, da die Staffeln neu gemischt werden, und wir wesentlich leichtere Gegner bekommen. Aber das werde ich ihnen vorerst gar nicht sagen, denn das ist bei dem neu entwickelten Mannschaftsgeist gar nicht nötig.