Hallo Talker1980. Ein spannendes Thema und für mich eine der zentralen Fähigkeiten einer guten FußballerIn. Orientierungsfähigkeit wird ja auch immer als eine der Koordinationsfähigkeiten genannt, wenn man dem Modell von Hirtz folgt. Jedoch müssen die Koordinationsfähigkeiten immer zusammen gesehen werden, eine isolierte Betrachtung bringt nichts, denn sie beeinflussen sich gegenseitig. Was will ich damit zunächst sagen? Dass du kein spezifisches Training nur für die Orientierungsfähigkeit machen solltest. Auch das Trainieren der (zum Beispiel) Kopplungsfähigkeit wird sich in der Orientierungsfähigkeit zeigen.
Aber schauen wir uns das ganze Thema doch mal genauer an, ich werde auch Literatur zitieren und empfehlen.
Zunächst muss man sagen, dass du mit der Altersstufe 13-16 eine gute Zeit erwischt hast, um an der (übergeordneten) Fähigkeit der Orientierung zu arbeiten. So sagen viele Sportwissenschaftler, dass diese Altersperiode die sensible Phase für die Orientierungsfähigkeit darstellt (vgl. Martin et al. 1999). Die Orientierungsfähigkeit beschreibt dabei die Wahrnehmung von sich und anderen im Raum. Wichtig ist aber dann vor allem, was aus dieser Wahrnehmung gemacht wird. Die Wahrnehmung muss zu einer Handlung werden. Dabei wird oft auf das Modell des 5fachen Blickes (also Ball, Gegenspieler, Mitspieler, Tor, freier Raum) hingewiesen (vgl. Weineck, Memmert, Uhring: S. 23). Für diesen 5fachen Blick ist also die Wahrnehmung entscheidend, die Wahrnehmung im Sport wird von Gavriyski als 80% vom visuellen System abhängig bezeichnet (vgl. Gralla 2007: S. 1).
Das visuelle System lässt sich grob in zwei Funktionsweisen aufteilen: das foveale und das extrafoveale Sehen. Foveal beschreibt dabei das fokussierte Sehen, also das Objekt das wir genau anvisieren (wie ich diesen Text während ich ihn schreibe). Extrafoveal beschreibt das "Blickwinkel"-Sehen, also alles was wir nicht direkt fokussieren, aber trotzdem sehen können (wie meine Flasche neben mir). Im Fußball könnte man es so umschreiben: Foveal ist die Ballkontrolle während wir dribbeln, wir fokussieren also den Ball (jaja optimal wäre es, beim Dribbeln nicht auf den Ball zuschauen). Extrafoveal ist das z.B. Beobachten des Mitspielers und seiner Bewegung. Ich denke, du merkst, worauf ich hinaus will. Für dein Anliegen ist das extrafoveale Sehen, nennen wir es ab jetzt peripheres Sehen, von größerer Bedeutung. Zusätzlich kommt noch die Synchronopsie, das simultane Wahrnehmen meherer Reize (vgl. Tidow 1993: S. 30). Außerdem ist die distributive Aufmerksamkeit, die geteilte Aufmerksamkeit (vgl. Gralla 2007: S. 39) wichtig für diesen Prozess.
Doch was bedeutet mein Gerede jetzt für dein Training oder eher dein Trainingsziel (bessere Orientierung deiner Mädchen = bessere Entscheidungen)? Nun, erstens sollten alle Koordinationsfähigkeiten eingeübt werden, wie oben schon mal beschrieben. Doch dabei reicht es nicht, das Übungsspiel extrem einfach zugestalten-Fußball ist zu komplex (denk an den 5fachen Blick). Es gibt unterschiedliche Druckbedingungen (vgl. Neumaier 1999: S. 113), die auf eine FußballerIn einwirken: Präzision, Zeit, Komplexität, Situation und Belastung. Nur in Übungen, die unterschiedliche Druckdimensionen bieten, können sich die Mädchen (und auch die Jungs in anderen Fällen) wirklich weiterentwickeln. Stupides Freilaufen bringt also nichts, da es nichts mit der echten Situation auf dem Platz zu tun hat. Für mich war es wichtig zu lernen, dass man sich beim Lernen eine Art von Programm aneignet. Dieses Programm kann man bei mehrfacher (da reichen nicht dreimal) Wiederholung immer automatischer ablaufen lassen (vgl. Meinel und Schabel 2007: S. 38). Es reicht jedoch nicht, nur ein einziges Programm zu können. Man muss viele Variationsmöglichkeiten haben, die zu den unterschiedlichen Situationen (Druckbedingungen) passen. Deine Mädchen stecken in so einer Entwicklung, bei dir ist sie wahrscheinlich schon deutlich weiter, weshalb du dich fragst "warum spielt sie jetzt den Pass, während Anna die deutlich bessere Entscheidung gewesen wäre?" Du kannst durch deine Erfahrung intuitiv auf Programme zurückgreifen, die Handlungsoptionen abscannen und dann eine (vermeintlich) richtige Entscheidung treffen. Das müssen die Mädchen noch lernen.
Deshalb würde ich dir empfehlen, möglichst viele solcher Situationen im Training zu provozieren, wo die Mädchen unterschiedliche Handlungsoptionen haben. Denk dabei an die unterschiedlichen Druckdimensionen (es müssen nicht alle gleichzeitig realisiert sein). Und vor allem musst du akzeptieren, dass die Mädchen auch durch Versuch-und-Irrtum lernen und es beim nächsten Mal besser machen. Deine Aufgabe ist es, ihnen die Möglichkeit zu geben, unterschiedliche Entscheidungen zu treffen. Dadurch haben sie die Chance, verschiedenes auszuprobieren und das Beste herauszufinden.
Literaturempfehlungen:
Volker Gralla (2007): Peripheres Sehen im Sport-Möglichkeiten und Grenzen dargestellt am Beispiel der synchronoptischen Wahrnehmung" (über Google zu finden).
Stefanie Pietsch (2012): "Der Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität und visuell-räumlicher Fähigkeiten" (auch über Google).