Beiträge von Hyde

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    Ich frage mich, ob die Stichtagsumstellung 1997 einen positiven Effekt auf die sogenannte „Goldene Generation“ des deutschen Fußballs gehabt hat. Die Goldene Generation sind, wenn wir Lahm und Schweinsteiger mit reinnehmen, in etwa die Jahrgänge 1983-1990 - also die 2014-er Weltmeister.


    Was in dieser Generation auffällig ist, ist, dass es hier noch einen recht geringen Alterseffekt gibt. Die Geburtsmonate in dieser Generation sind relativ gut von Januar bis Dezember verteilt. Einige der besten Spieler dieser Generation sind Spieler, die in der zweiten Jahreshälfte geboren sind:


    Lahm: November 1983

    Schweinsteiger: August 1984

    Özil: September 1988

    Boateng: September 1988

    Hummels: Dezember 1988

    Müller: September 1989

    Gündogan: November 1990


    Das sind nicht nur irgendwelche Spieler, sondern tragende Säulen jener Goldenen Generation.


    Was man nun wissen muss: im Jahr 1997 hat der der DFB den Stichtag vom 1. August auf den 1. Januar geändert, also quasi von Schuljahrgang zu Kalenderjahrgang.


    Ich könnte mir vorstellen, dass diese Umstellung einen positiven Sondereffekt auf die Talentförderung in Deutschland für die Goldene Generation gehabt hat. Denn: die oben aufgelisteten Spieler haben alle in ihrer frühen Kindheit in ihrer fußballerischen Ausbildung noch die alte Stichtagsregelung durchlaufen, das heißt sie gehörten zu den Älteren in ihrem Jahrgang und haben dementsprechend die Vorteile des Relative Age Effects genossen. Sie wurden also besser ausgebildet.

    Als dann 1997 umgestellt wurde, gehörten sie ab dann plötzlich nicht mehr zu den Älteren, sondern ab jetzt zu den Jüngeren, zu den Spätgeborenen. Aber sie haben möglicherweise bis dahin (bis dahin waren sie ja Frühgeborene) aufgrund ihres Frühgeborenen-Status in ihrer frühen fußballerischen Ausbildung bereits solche Entwicklungsvorteile akkumuliert, dass sie dann auch nach 1997 nicht mehr durchs Raster fielen - obwohl sie ja ab da die Spätgeborenen waren. Und sie konnten ab dann davon profitieren, bereits gegen Ältere zu spielen.


    Für diese Generation könnte also ein doppelter positiver Effekt eingetreten sein, sozusagen ein perfektes Timing. Sie waren:


    - VOR der Umstellung die „Frühgeborenen“, die von früher Förderung profitierten,


    - und NACH der Umstellung die „Spätgeborenen“, die durch ihren Vorsprung nicht durchs Raster fielen, aber durch das Spiel gegen Ältere fortan einen zusätzlichen Reifungseffekt mitnahmen.



    Dadurch hatte der deutsche Fußball durch diesen Sondereffekt der Stichtagsumstellung von 1997 für eine zeitlang eine Generation, wo es sowohl bei den früher im Jahr Geborenen als auch insbesondere bei den später im Jahr Geborenen (die diesen beschriebenen Doppeleffekt genossen) sehr gute Talente gab.


    Wenn man dieser Theorie folgt, dann müsste man eigentlich eine Systemanpassung dergestalt vornehmen, dass man alle 4-5 Jahre eine Stichtagsanpassung von Kalenderjahr (Januar-Dezember) auf Schuljahr (Juli-Juni), und wieder zurück, vornimmt. Dadurch würden die Jugendspieler im Laufe ihre fußballerischen Ausbildung in ihrer Kindheit mehrmals für einige Jahre zu den Frühgeborenen und für einige Jahre zu den Spätgeborenen gehören, und könnten auch diese beschriebenen Doppeleffekte mitnehmen, wie es Schweinsteiger, Hummels und Co damals tun konnten.


    Die aktuelle Praxis, als Talent von Tag 1 des Kinderfussballs bis zum Herrenfussball stets zu den Frühgeborenen (oder halt zu den Spätgeborenen, je nachdem) zu gehören, ist doch einfach brutal ineffektiv. Und viel zu starr.

    Die Probleme in den NLZs liegen aber nicht an den finanziellen Ressourcen. Es liegt nicht daran, dass man in den NLZ zu wenig Geld für Trainer und Infrastruktur aufwendet, sondern dass man in der Arbeit falsche Prioritäten setzt (zB zu sehr spieltags/ergebnisorientiertes Arbeiten, zu viel Scouting und Selektion statt Entwicklung, usw). Diese Probleme löst man nicht durch noch mehr Geld, die haben damit gar nichts zu tun.


    Mein Kritikpunkt ist, dass man sich als Profiverein im Jugendbereich mit seinen Ressourcen mal mehr darauf konzentrieren sollte, in die Region hineinzuwirken, anstatt zu versuchen, immer noch weiter die Infrastruktur des NLZ von 98% auf 99% zu verbessern - als lägen die Probleme des deutschen Fußballs dort begründet.


    Lars Ricken wollte zB beim BVB vor ein paar Jahren mal das BVB-Gelände für die Jugend für zig Millionen Euro ausbauen (wurde dann letztlich wegen Corona nicht bewilligt), mit lauter infrastrukturellen Maßnahmen die überhaupt nicht groß weitergeholfen hätten (mehr Rasenplätze statt Kunstrasenplätze, größere Küche & Kantine für die Jugendspieler und all so Zeugs), gleichzeitig unterhält aber der BVB zB bis heute kaum Kooperationen mit Partnervereinen in der Region. Da denke ich mir: fang doch mal dort an anzusetzen, bevor du den zwölften Naturrasenplatz für die F-Jugend baust oder eine schickere Kantine, das wird den deutschen Fußball nämlich auch nicht auf Augenhöhe mit Frankreich und Portugal bringen. Das ist einfach eine merkwürdige Prioritätensetzung.


    Belgische, portugiesische und französische Proficlubs haben im Nachwuchsbereich sicherlich nicht bessere und modernere Trainingszentren als die deutschen Clubs, trotzdem läuft es da viel besser.


    Klar ist es wichtig, auch in die Infrastruktur des eigenen NLZ zu investieren, aber diese Dinge unterliegen dem sogenannten abnehmenden Grenznutzen, irgendwann ist der Punkt erreicht, wo noch mehr Investitionen in noch mehr Infrastruktur keinen großen Effekt mehr haben und das Geld anderswo besser investiert wäre.


    Ich denke, wenn wir über Probleme der deutschen Nachwuchsförderung sprechen, dann liegt vor allem hier (also Verbesserung der Talentförderung an der Basis, dadurch Verbesserung des regionalen Talentpools, aus dem sich die NLZs bedienen können) das Gold begraben.


    Nicht darin, dass die Proficlubs noch modernere Trainingszentren bauen müssen.

    Würde man früher, und damit meine ich ab dem G Jugendalter schon gezielter Talente fördern, würde es perspektivisch dem deutschen Fußball nicht schaden.

    Der wichtigste Punkt, wo man in Deutschland hier ansetzen sollte, ist mMn aber nicht (wie manche sagen), noch mehr Kinder als bisher noch früher in die NLZs zu holen, sondern die Basis in den Amateurvereinen zu stärken.


    Gucken wir uns das Ganze mal aus NLZ-Sicht an: was ist denn der wichtigste Grundstein für ein NLZ, um in Zukunft viele gute, regionale Talente in die eigene Profimannschaft zu bringen? Manche werden vielleicht sagen: um das zu erreichen, muss im NLZ optimal gearbeitet werden: noch bessere Trainer, noch bessere Infrastruktur, usw. Und klar, das alles ist wichtig. Aber der entscheidende Punkt, um als NLZ/Profiverein in Zukunft viele Talente zu haben, ist doch, dass nicht nur in dem einen NLZ, sondern in der ganzen Region gut gearbeitet wird. Im Zweifel in jedem Dorfverein.

    Oder, um es noch zugespitzter zu formulieren: wichtig ist nicht, was in dem einen NLZ passiert, sondern was außerhalb dieses NLZ passiert. Was in der Region passiert.

    DAS wird dir die Breite bringen, aus der dann auch das NLZ Spitzenleute formen kann.


    Ich finde da manchmal die Prioritätensetzung von einem NLZ bzw. von einem Profiverein etwas merkwürdig. Bevor ich da noch mehr Ressourcen in den sechshundertsten Athletik-Trainer im Nachwuchsbereich, oder in noch moderne Duschen und Umkleidekabinen investiere, oder in ein noch größeres Jugendhaus, würde ich als NLZ doch lieber Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Vereine vor Ort in der Region bestmöglich zu fördern, denen Trainerfortbildungen geben, sie anderweitig unterstützten etc - sodass die optimal arbeiten können und mir als NLZ dann in der Region immer wieder eine breite Auswahl an top ausgebildeten Kids zur Verfügung stellen, die ich dann irgendwann ins NLZ holen kann und sie da weiter verfeinern kann.


    NLZs müssten ihre Region und die Vereine in ihrer Region als ihr größtes Kapital begreifen. Und in diese Region noch viel mehr Geld und Ressourcen reinstecken, um die Trainer dieser Vereine weiterzuentwickeln. Warum passiert das nicht? Warum sagt die DFL nicht, dass Proficlubs 1-2% ihres Umsatzes (der ja in immer aberwitzigere Höhen steigt dank TV-Geldern) in die Nachwuchsförderung ihrer Region und regionalen Vereine stecken müssen, um dadurch die Vereine an der Basis in der Jugendförderung zu stärken? Und mit „Nachwuchsförderung ihrer Region“ meine ich nicht, dass die Vereine das Geld dann dazu verwenden, um noch bessere Duschen und noch mehr Rasenheizungen für ihr Nachwuchsleistungszentrum zu bauen, sondern dass sie von dem Geld qualifiziertes Personal einstellen, das dann raus geht in die Region und die Amateurvereine in der Region im Jugendfußball fortbildet. Welche vernünftigen Gründe gibt es, das nicht zu tun?


    Und warum macht da auch der DFB nicht mehr? Warum installiert der DFB nicht eine Online-Plattform, wo jeder Dorftrainer, jede Mutter und jeder Vater drauf zugreifen kann und wo detailliert und übersichtlich in Videos & Text erklärt wird, wie das optimale Training für G-Junioren, F-Junioren, E-Junioren, D-Junioren etc. aussieht? Welche Gründe hat man, dass dies nicht passiert? Würde das irgendwem schaden, oder warum macht man das nicht?


    Ich verstehe das nicht. Sowohl der DFB als auch die NLZs sollten alles dafür tun, sollten Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um möglichst viel Jugendfußball-Fachwissen in die Amateurvereine zu bringen, gerne bis in den letzten Dorfverein. Diese Basis zu stärken. Das ist viel wichtiger, als dass das NLZ noch komfortablere Umkleidekabinen kriegt, der Rasen noch perfekter gemäht wird, oder dass die DFB-Akademie die schönsten und modernsten Glasfassaden hat.

    Ich glaube, einen Punkt den man auch noch ansprechen muss, der aber erstmal nix mit DFB und Nachwuchsförderung zu tun hat, ist das Thema Schule.


    Ich kann mich zB gut erinnern, als ich in der Grundschule war (wir reden hier über Ende der 90er Jahre), da hatten wir an manchen Tagen in der Woche nur 3 Stunden und dann Schulaus. Ansonsten immer was zwischen 4-6 Stunden. Da hatte ich also teilweise um 10:30 Uhr Schulaus, ging 5 Minuten nach Hause, hab da ein bisschen Hausaufgaben gemacht, um 12 Uhr oder so hat die Mutter das Mitagessen gekocht - und danach hatte ich den Tag zur freien Verfügung. Da konntest du den ganzen Tag mit deinen Freunden zocken, wenn du wolltest. Selbst ab der 5. Klasse aufwärts hatte ich meistens nur 6 Stunden und war dann oft so um kurz nach 13 Uhr zu Hause.


    Heutzutage mit Ganztagsschule sind die Kinder bis 16 oder 17 Uhr in der Schule. Jeden Tag. Da hast du dann vielleicht einmal die Woche noch Fußball-AG, aber das war’s dann auch. Und abends ist es dann je nach Jahreszeit schon dunkel, oder du hast dann dein Vereinstraining, und du hast abends eh nicht mehr so viel Energie für Sport.


    Ich hab mich früher als Kind oft einfach um 15 Uhr mit Freunden zum bolzen verabredet, das können die ja heute alle gar nicht mehr. Das fehlt dann halt im Endeffekt auch alles in der fußballerischen Ausbildung der Kinder, wofür der DFB und die Vereine aber ja erstmal gar nix können, und wo ich auch keine Lösung parat habe.

    Bei dem Beispiel Frankreich tue ich mir etwas schwer. Denn hier haben wir, wie du ja auch schon ansprichst, den Sondereffekt mit den ganzen Talenten aus dem Raum Paris. Wenn man die französische A-Nationalmannschaft sowie die U21 anschaut, dann kommen deutlich über die Hälfte der Spieler aus Paris. Dabei stellt der Großraum Paris weniger als 20% der Einwohnerzahl Frankreichs. Und die Talente, die nicht aus Paris kommen, sind dann oft aus Lyon oder Marseille.


    Daher stelle ich mal folgende Frage: Wenn das Fördersystem Frankreichs so gut ist, und der Erfolg der Franzosen vor allem an diesem System liegt, warum produziert dann Frankreich nicht auch in anderen Regionen abseits von Paris ähnlich gute Spieler? Warum produzieren sie kaum weiße (bzw nicht-migrantische) Spieler, viel weniger als zB Deutschland? Wenn das System Frankreichs dem deutschen überlegen ist, müssten dann die „Bio-Franzosen“ (a la Olivier Giroud) in der Masse nicht auch besser sein als die „Bio-Deutschen“ (a la Thomas Müller)? Das ist aber überhaupt nicht der Fall, sondern sogar ganz im Gegenteil.

    Oder anders ausgedrückt: wenn man eine Mannschaft aus Nicht-Migranten aufstellen würde, dann würde von der individuellen Klasse und Talent her Deutschland Frankreich sicherlich klar dominieren.


    Das nährt für mich den Verdacht, dass der Erfolg der Franzosen weniger im System begründet liegt, als mehr darin, was sich in Stadtvierteln von Paris oder Lyon abspielt. Dass Frankreich unter Umständen also gar nicht das überlegene System in der Nachwuchsförderung hat, sondern einfach die bessere (migrantische) Straßenfussball-Kultur.


    Für mich ist das bessere Beispiel für eine Top-Nachwuchsförderung ohnehin Portugal. Niemand produziert so viele Topspieler pro Einwohner wie Portugal. Auch nicht Frankreich.

    Was ich bei dem Beispiel Portugal interessant finde, ist, dass es nicht immer so war. Früher hat Portugal im Nationalmannschaftsfussball eigentlich so gut wie keine Rolle gespielt, und das über viele Jahrzehnte. So waren sie zB in den 52 Jahren von 1930-1982 nur einmal bei einer WM dabei (1966 mit Eusebio), und in den ersten 20 Jahren des Bestehens von Europameisterschaften (1960-1980) kein einziges Mal bei einer EM.


    Dann bekamen sie ab Ende der Achtziger bzw Anfang der Neunziger plötzlich eine sehr starke Generation an Nachwuchsspielern, die sie in der Folge begeistert als ihre „Goldene Generation“ tauften (mit Luis Figo und Co). Und seit diesem Zeitpunkt an produziert Portugal dann plötzlich nur noch solche Top-Generationen, sind seit der Generation Figo konstant in der internationalen Spitze dabei. In Wahrheit waren Figo und Co also gar keine Goldene Generation, sondern nur der Startschuss zu einem anhaltenden, generationenübergreifenden Fluss an portugiesischen Top-Spielern, der jetzt mittlerweile seit den späten 1980ern anhält.


    Irgendetwas muss also in Portugal in den 1980er Jahren geschehen sein. Irgendwas müssen die damals in ihrer Nachwuchsförderung umgestellt haben, was dazu geführt hat, dass sie seitdem plötzlich angefangen haben, konstant Top-Leute zu produzieren - nachdem sie zuvor 50 Jahre lang im Weltfussball keine Rolle gespielt haben. Leider finde ich dazu keine weitergehenden Informationen.


    Sehr interessant finde ich hier auch den Vergleich mit Griechenland. Portugal und Griechenland sind in vielerlei Hinsicht sehr vergleichbare Länder:


    -sie haben eine vergleichbare Einwohnerzahl (etwa 10 Mio)

    -sie haben einen vergleichbaren Lebensstandard/Wirtschaftskraft

    -sie haben ähnliche klimatische Bedingungen (beides Mittelmeerländer)

    -sie haben eine ähnliche Kultur/Mentalität

    -und, vor allem: sie haben eine ähnlich große Fußballbegeisterung


    Es sind also sehr ähnliche Länder. Und dennoch sind diese beiden Länder in Bezug auf die jeweilige Qualität des Fußballs wie Tag und Nacht. Ich kann mich zB nicht dran erinnern, wann Griechenland je in seiner Geschichte mal irgendeinen internationalen Topspieler produziert hätte. Nicht heute, nicht in den letzten 30 Jahren, nicht in den letzten 80 Jahren. Selbst Polen (Lewandowski), Bulgarien (Stoichkov), Österreich (Alaba), Schweden (Ibrahimovic) und Co schaffen es mal, irgendwann mal einen Topspieler zu produzieren - nicht aber Griechenland. Trotz all der Fußballbegeisterung dort, trotz ähnlicher Bedingungen (klimatisch, wirtschaftlich, kulturell) wie Portugal.


    Es wäre interessant, wenn es dazu mal irgendeine Vergleichsstudie gäbe, welche Faktoren dazu führen, dass das fussballbegeister Portugal konstant so viel besseres Talent produziert als das fussballbegeisterte Griechenland.