Interview mit Horst Wein volle Zustimmung meinerseits

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  • Funiño bereichert auch Training der Fußballprofis



    Ex-Hockey-Bundestrainer Horst Wein mobilisiert nicht nur den Nachwuchs Technologie und Inno­vation im Fußball bilden die Schwer­punkte beim hochkarätig besetzten Kongress „Fußball 4.0“, der von Donnerstag bis Samstag in Erlangen stattfin­det. Aber auch der Nachwuchsfußball wird breiten Raum einnehmen. Dabei wird der frühere Hockey-Nationalspie­ler und Bundestrainer Horst Wein sein Projekt „Funiño“ vorstellen. Die NZ sprach im Vorfeld mit dem renommier­ten Experten (73), der inzwischen die Sportart gewechselt hat.




    NZ: Herr Wein, Sie kommen ursprüng­lich vom Hockey – wie hat es Sie dann zum Fußball „verschlagen“?
    Horst Wein: Wie die Jungfrau zum Kind, durch puren Zufall! Das Hockeyleistungszentrum in Barce­lona, wo ich immer die spanische Hockey-Nationalmannschaft trainier­te, lag in unmittelbarer Nähe des FC Barcelona. Einige von ihren Trainern besuchten häufig unser gutes Restau­rant und mussten zum Mittagessen am Hockeyplatz vorbeilaufen, wo sie mich oft die besten Spieler Spaniens trainieren sahen. Offenbar imponierte ihnen meine Art und Weise, das Trai­ning zu gestalten, denn eines Tages sprach mich Carles Rexach (Ex-Trai­ner und Nationalspieler, Anm. d.Red.) an, um ihnen meine „Geheimnisse“ mitzuteilen. Das geschah dann eine Woche später im Jahre 1985 – so fing alles an.



    NZ: Wie kam es zur Entwicklung von Funiño, der Idee des kindgemäßen Trainings?



    Wein: Willi Daume, der damalige NOK-Präsident, überredete mich, 1986 als rechte Hand des Sportminis­ters in Chile den Südamerikanern deutsches Wissen und Know-how im Sport zu vermitteln. Meine Familie begleitete mich, und als mich eines Tages mein ältester Sohn kritisierte, weil ihm mein Vorschlag für das Trai­ning nicht passte, fing ich an, dem Leistungssport den Rücken zuzuwen­den und mich um eine altersgerechte und kindgemäße Ausbildung zu küm­mern, in der das Spiel der Meister ist und nicht der Trainer. Funiño wurde in Chile im deutschen Hockeyclub Manquehue geboren und seitdem von mir dauernd weiter verbessert. Von ei­nem Spiel 1986 sind wir jetzt 29 Jahre später bei 50 Spielen und mindestens 80 Varianten angelangt. Javier Her­nandez vom FC Barcelona wurde vier Jahre lang von seinem Trainer mit mei­nem Ausbildungsprogramm stimu­liert. Einige Jahre später veröffent­lichte es der spanische Fußball-Ver­band.


    NZ: Sie sagen, das Spiel, der Fußball selbst ist der beste Trainer – wie mei­nen Sie das?



    Wein: Erst dann, wenn ein Trainer, der viel weiß, wenig preisgibt, kommt es zu einem aktiven Lernen des jun­gen Spielers. Kinder und Jugendliche sollten das Spiel entdecken lernen, wobei ihnen der Trainer Probleme gibt, welche die Spieler mit oder ohne Hilfe des Trainers lösen können. Das Wort „Instruktor“ wird immer noch in vielen Ausbildungssystemen be­nutzt und ist nur ein Indiz dafür, wie rückständig wir noch in unserer Art und Weise sind, unsere Jüngsten im Sport auszubilden. Bis zum Alter von zwölf Jahren werden sehr viele wichti­ge Grundsätze der Trainingslehre und Sportpädagogik ignoriert, insbesonde­re in den Wettkämpfen und dadurch rückwirkend auch im Training.


    NZ: Wie würden Sie die Idee und Pra­xis von Funiño kurz umreißen?



    Wein: Der Begriff „Funiño“ ist nichts anderes als eine Zusammensetzung aus Fun (Spaß) und niño (Kind) oder eine Abkürzung meines weltbekann­ten spanischen Fußballentwicklungs­modells Fútbol a la medida del Niño. Heute gilt es als die gesündeste „Dro­ge“, die wir unserer Jugend anbieten können, weil es nicht nur die Gesund­heit, einen aktiven Lebensstil und die Kommunikationsfähigkeit der Kinder stimuliert, sondern besonders auch ihre Kreativität, Charakter und Intelli­genz schult.


    NZ: Kann man Funiño als „Graswurzel­bewegung des Fußballs“ bezeichnen? Ist ein Erfolg nur von unten, von der Basis möglich? Sportorganisationen dürften erst einmal skeptisch reagie­ren, da bestehende Traditionen in Fra­ge gestellt werden...



    Wein: Johann Wolfgang von Goethe sagte uns bereits: Wer das erste Knopf­loch verfehlt, kommt mit dem Zuknöp­fen nicht zurecht! Das Land der Welt­meister mit rund 6,8 Millionen Spie­lern hat noch immer nicht den Weg gefunden, die hohe „Drop-out“-Quote von etwa 70 Prozent bei jugendlichen Fußballspielern in den Griff zu bekom­men. Alles orientiert sich am Profifuß­ball, und unsere Kinder dürfen im Fußball leider nicht mehr Kinder sein wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als bedingt durch die Notlage der Stra­ßenfußball aufblühte. Vielmehr wer­den sie heute im Fußball bereits wie Erwachsene behandelt. Funiño wird ein Umdenken im deutschen Kinder­und Jugendfußball einleiten, dessen viele positive Konsequenzen für die Spieler, Trainer, Eltern, Vereine und Verbände nur von wenigen gesehen werden. Mit Prof. Lochmann habe ich endlich eine Persönlichkeit mit visio­närem Denkvermögen in Deutschland gewonnen, die meinen seit 30 Jahren währenden Kampf, die Wettkampf­struktur im deutschen Fußball zum Wohle aller Beteiligten zu reformie­ren, voll unterstützt. Im spanischen Hockey haben wir dies bereits seit 1980 verwirklicht. Das Ergebnis: zwei olympische Silber- und eine Gold­medaille mit nur 10000 Spielern inner­halb von zwölf Jahren.


    NZ: Sie haben zunächst die Sieben­bis Neunjährigen im Blick – bis zu wel­cher Altersklasse sollten nach Ihrem Modell die Wettkämpfe mit Kindern beschritten werden?



    Wein: Für Sieben- bis Zehnjährige gibt es im Funiño ein reichhaltiges Angebot von Spielen, in denen das Kind Hauptdarsteller ist und nicht mehr der Trainer. Funiño ist nicht nur ein Spiel, vielmehr eine Lehrmethode, in der kindgemäß und spielorientiert das motorische Lernen Hand in Hand mit dem kognitiven Lernen verbun­den wird. Bald wird es, wie bereits in einigen Ländern geschehen, in den Schulunterricht integriert werden. Es gibt bereits drei Universitäten in drei verschiedenen Ländern, die Funiño in sportwissenschaftlichen Instituten lehren. In den letzten Jahren haben Funiño und seine Prinzipien auch das Training vieler Fußballprofis berei­chert, weil es den Spielern optimale Lernerfolge ermöglicht, viele neue Kenntnisse und Erfahrungen vermit­telt und sie gleichzeitig physisch opti­mal auf den Wettkampf vorbereitet.


    NZ: Inwieweit ist Funiño so etwas wie ein „Ersatz“ des heute weithin ausge­storbenen Straßenfußballs?



    Wein: Es ist der Straßenfußball des 21. Jahrhunderts bzw. eine Wieder­geburt des Straßenfußballs der Nach­kriegsjahre, der uns unvergessene Fuß­ballstars bescherte, ohne Trainer.


    NZ: Unterscheiden Sie bei Funiño zwi­schen Breiten- und Leistungssport? Oder bedingt sich beides?



    Wein: Funiño ist zunächst ein hervor­ragendes, effektives Werkzeug, um den Körper und den Geist vieler nor­maler Bürger zu bewegen sowie ihren Charakter durch das Spiel der vielen Varianten zu formen. Die letzten Er­gebnisse von wissenschaftlichen Stu­dien zeigen uns aber auch seine Wir­kung für eine Optimierung der Leis­tung eines Einzelnen, einer Gruppe oder einer Mannschaft.


    NZ: Sie sind international aktiv – haben Sie Mentalitätsunterschiede bei der Akzeptanz von Funiño bzw. unterschiedliche Ausprägungen von Widerstands- bzw. Beharrungsvermö­gen festgestellt?



    Wein: Bei den Kindern habe ich in über 30 Ländern dank der großen Viel­seitigkeit der Spiele nur riesige Begeis­terung erfahren, doch bei den Erwach­senen zunächst einmal viel Misstrau­en. Denn für sie wird der Fußball immer noch mit den Füßen gespielt, während die Kinder in 32 Ländern bereits gelernt haben, dass der Fuß­ball von morgen im Kopf beginnt und mit den Füßen endet!

  • @Stannis74


    In der Tat ein sehr mutiges und deshalb gutes Interview. Gerade, weil Host Wein in einer anderen Sportart großgeworden ist, gelingt es ihm immer wieder, sich einen klaren Blick auf den Fussball zu verschaffen.
    Hier ein paar Zitate, die in einfacher Weise auf unsere Kernprobleme im Kinderfussball aufmerksam machen:



    Erst dann, wenn ein Trainer, der viel weiß, wenig preisgibt, kommt es zu einem aktiven Lernen des jun­gen Spielers.


    Das Land der Welt­meister mit rund 6,8 Millionen Spie­lern hat noch immer nicht den Weg gefunden, die hohe „Drop-out“-Quote von etwa 70 Prozent bei jugendlichen Fußballspielern in den Griff zu bekom­men. Alles orientiert sich am Profifuß­ball, und unsere Kinder dürfen im Fußball leider nicht mehr Kinder sein

    Das Land der Welt­meister mit rund 6,8 Millionen Spie­lern hat noch immer nicht den Weg gefunden, die hohe „Drop-out“-Quote von etwa 70 Prozent bei jugendlichen Fußballspielern in den Griff zu bekom­men. Alles orientiert sich am Profifuß­ball, und unsere Kinder dürfen im Fußball leider nicht mehr Kinder sein


    Es gab übrigens Anfang 2006 einen Versuch, mit Bernhard Peters einen Hockey-Bundestrainer als Sportdirektor beim DFB zu verpflichten. Hier ein paar Kommentare dazu:


    Ex-Bundestrainer Berti Vogts im „Kicker“:
    „Das ist ein Karnevalsscherz. Hockey kann man nicht mit Fußball vergleichen. Die Hockeyspieler haben alle zwei Jahre
    eine WM, Fußballer müssen alle drei Tage fit sein.“


    Hannover-Trainer Peter Neururer:
    „Ich kenne noch einen guten Volleyball-Trainer, der könnte das Lauf-Training machen. Fitness-Trainer aus den USA, Scouting-Chef aus der Schweiz – langsam ist es gut.
    Wenn Klinsmann nach der WM weg sein sollte, bleibt der DFB auf den ganzen Leuten sitzen.“


    Walter Hellmich (Präsident MSV Duisburg):
    „Es kommt überall auf Kompetenz und Persönlichkeit an. Wenn es das im Bereich des DFB nicht gibt – ein Armutszeugnis für den deutschen Fußball.“


    Jürgen Klopp (Trainer 1. FSV Mainz 05):
    „Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Er soll beim DFB ja keine Fußballmannschaft trainieren, sondern Strukturen verbessern und aufbauen. Im Hockey hat er aus wenig Nachwuchs eine
    unheimlich erfolgreiche Mannschaft gemacht. Ich begrüße den Ansatz, da mal einen Betriebsfremden ranzulassen, der vielleicht viele Dinge anders angeht. Ein toller Trainer, der sich für alles interessiert.“


    Jürgen Kohler (Trainer MSV Duisburg):
    „Der Hockey-Bundestrainer soll DFB-Sportdirektor werden? Das ist unvorstellbar. Für mich ist das eine Schnapsidee.“


    Uli Hoeneß (Manager FC Bayern):
    „Diese Wahl ist mutig und nicht schlecht. Ich finde sie einen Versuch wert.“


    Karl-Heinz Rummenigge, (Vorstandsvor-sitzender Bayern München):
    „Das ist ein Mann, der im Hockey wohl sehr gute Arbeit geleistet hat. Im Hockey sind wir Weltspitze, im Fußball sind wir es aktuell nicht.“


    Bert van Marwijk (Trainer Borussia Dortmund):
    „In Holland hat es das schon gegeben, dass Hockeytrainer später für Fußball-Mannschaften gearbeitet haben. Die Sportarten können doch voneinander lernen.“


    Heribert Bruchhagen (Vorstandsboss von Eintracht Frankfurt):
    „Am Anfang war ich schon überrascht, aber je länger ich darüber nachdenke, halte ich die Überlegung für in Ordnung. In der Position sind vor allem Management- und Teamfähigkeit gefragt. Außerdem muss nicht jeder, der von Fußball Ahnung hat, Fußball gespielt haben.



    Die Meinungen spiegeln nicht nur den damaligen Zeitgeist wieder, sondern man erkennt, dass die struktuellen Probleme ganz oben einen "Nachhall" nach unten hin haben. Schon damals brauchten wir Leute, die unvoreingenommen die Strukturreform anpassen und begleiten. Und was haben wir stattdessen bekommen ...?

  • Ich vermute, dass der Hockey schon immer etwas weiter als der Fussball war, weil die hohen Bälle weitestgehend weg fallen. Also muss im Hockey über Strukturen und Strategie und nicht über Zufälle und Glück zum gegnerischen Tor gelangt werden.

    C 1 Viktoria Buchholz


    Auf jede Mannschaft, die in Schönheit stirbt, kommen hundert, die in Hässlichkeit sterben – kein Grund also, sich auf Hässlichkeit zu fokussieren.
    Martin Rafelt

  • Das Traurige daran ist, dass das viele "Experten" gar nicht mitbekommen werden...

    I've missed more than 9000 shots in my career. I've lost almost 300 games. 26 times, I've been trusted to take the game winning shot and missed. I've failed over and over and over again in my life. And that is why I succeed. (Michael Jordan)