Kette oder Libero

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  • Hallo
    ich traniere seit ca 7 Monaten eine Kreisliga Damenmannschaft. Da ich ein Freund des modernen Fußballs bin habe ich ab der 3ten Trainingseinheit auf Kette umgestellt. Natürlich mit den dazu gehörigen Trainingseinheiten ( Theorie und Praxis ). Nun haben wir recht erfolgreich die letzten Monate gespielt ( nur 2 Niederlagen ), allerdings habe ich das Gefühl das die Damen nicht mit dem System klar kommen........ Umstellungen im Spiel oder das Offensivspiel der Außenverteidiger sind Fehlanzeige und die 6er lassen solche Abstände das ein Verbund nicht zu erkennen ist. Mehrmaliges Erklären an Tafeln sowie Anlauf und Verteidigungsübungen im Training haben meiner Meinung nicht wirklich viel gebracht.
    Jetzt hatte ich ein Spiel der USA Damen gesehn und es kam mir so vor wie Liberosystem..............
    Habt ihr Erfahrungen in der Richtung oder bilde ich mir das alles nur ein ???

  • Meine Erfahrung mit der Kette ist folgende: Die Umstellung dauert nicht ein paar Spiele. In der Regel wirst du da ein zwei Jahre benötigen. Es dauert bis die Spieler/innen das Schema der Manndeckung aufgeben, es ist einfach in den Köpfen drinn.


    Mich wundert das ihr trotzdem erfolgreich spielt. Achte mal darauf ob deine Spielerinnen in die Manndeckung gehen oder aber geziehlt die Räume zustellen und du eine "dreiecksbildung" sehen kann. Wichtig ist auch das der Torhüter mitspielt, quasi in der Funktion eines Liberos.


    Bei mir hat es nach Umstellung anfangs nur Klatschen im hohen zweistelligen Bereich gegeben, mittlerweile hat es sich eingespielt so das mittlerweile nur noch einstellig Gegentore fallen.

  • @Ingedion


    Ich denke mal, man sollte 2 Dinge trennen. Wenn du in der Damenkreisliga mit "Kette" spielst, dann werden die meisten Gegner mit deinen 4 Abwehrspielerinnen, die gemeinsam verteidigen und sich dabei gegenseitig unterstützen, nicht klarkommen. Wie du sicherlich festgestellt hast, wird selbst in 1 - 2 Ligen höher noch "gegnerorientiert" gespielt, wodurch dein Team ihre Vorteile hat. D.h. wer hinten gut steht, der muß vorne nicht so viele Tore schießen.


    Tja, das wars dann aber auch an Erkenntnissen. Denn egal, wieviel du dort an der Tafel malst, die Interessen der meisten Mädels in deinem Team sind anders gelagert. D.h., die wollen ein bißchen Spaß, aber keine Lehrstunden in Sachen Fussball. Ein typisches Kreisliga-Damenteam läßt sich in 3 Kategorien gliedern. Ein Drittel möchte sich im Training und Spiel verbessern, ein weiteres Drittel kommt zum Training, wenn ihre Freundinnen auch kommen und ein letztes Drittel kommt nur, wenn sonst nichts Besseres läuft. Wie willst du da irgendwas planen oder vielleicht sogar noch verbessern? Da mangelt es ja nicht nur am Verständnis, sondern auch am Willen bzw. der Kondition zur Laufarbeit!


    Deshalb mein Tipp: vereinfache dein System auf ein 4 : 4 : 2. Die kannst du zusammen trainieren, hast nicht das Problem mit den beiden 6-ern oder dem Offensivspiel der AV! Andererseits kann ich dir den Wechsel in eine höhere Liga nahelegen, wo deine Arbeit gewürdigt wird. In der Kreisliga ist es vermutlich wie "Perlen vor die Säue" werfen, da dir kaum jemand zuhört oder das machen möchte, was du ihnen versuchst zu erklären.


    Falls du dir Gewissheit bezüglich deines Engagements verschaffen möchtest, dann frag ganz einfach mal beim Training in die Runde, auf welchen Tabellenplatz ihr gerade steht? Das werden die Meisten gar nicht wissen und es ist ihnen auch egal!

  • Von mir erst einmal großen Respekt.
    Leider haben viele Trainer in der Kreisliga nicht den Mut ballorientiert spielen zu lassen.
    7 Monate sind nicht viel für die Einführung eines neues Systems. Ich gehe davon aus, dass ihr zweimal pro Woche trainiert. Nach meinen Erfahrungen im Männerbereich braucht es selbst bei hoher Trainingsbeteiligung gut eine Saison, damit das System einigermaßen sitzt. Es ist also ganz normal, dass es nach 7 Monaten noch etwas hakt. Interessant finde ich, dass ihr dennoch erfolgreich seid. Das ist eher die Ausnahme.
    Das angesprochene Spiel der USA habe ich nicht gesehen. Allerdings halte ich es derzeit für eher unwahrscheinlich, wieder zu einem reinen Gegenspieler bezogenen System zurückzukehren. Einzelne Elemente sieht man zwar immer mal wieder, aber dann eher in einzelnen Spielen oder gegen einzelne Spieler, aber eben nicht generell.

  • @Grätsche ... Wer sagt das ein Liberosystem gegnerorientiert ist oder sein muss?


    @TW-Trainer ... Ich geb dir recht, wenn du die Viererkette drauf hast, kannst du so manch höherklassigen Verein ärgern. Zumindest einmal. Frauen nehmen Offensivtaktiken meißt aber schneller auf als Defensivtaktiken, warum auch immer?! Dementsprechend kannst du meißt schneller das Ausspielen einer Kette trainieren als die Kette selbst.


    @Ingedion ... Ich trainier nun seit 6 Jahren eine Frauenmannschaft und hab es auch schon mal 2x versucht auf Viererkette umzustellen. Hab mich quasi damit abgefunden, dass mir die Spielerinnen das System vorgeben und ich nicht ihnen. Wir spielen nun eine Dreierkette mit dahinter agierenden Libero und zwei 6er davor. Das ganze ist nun so eingespielt, dass jeder Abwehrspieler (selbst Libero) offensiv agieren kann und sich dementsprechend jemand fallen lässt. Aber selbst das hat längere Zeit gedauert.

  • @teejay
    Libero heißt übersetzt freier Mann, d.h. ohne Gegenspieler. So eine Bezeichnung macht nur Sinn, wenn der Rest der Mannschaft gegen den Mann spielt. In einem ballorientierten System hast du ja situativ immer verschiedene "freie Männer". Daraus ergibt sich für mich, dass ein Spielsystem bei dem nur ein Spieler der freie Mann ist, ein gegnerorientiertes sein muss.

  • Du hast ja recht das libero aus dem italienischen Übersetzt 'frei' heißt. Frei kann aber auch heißen das er sich frei in den Räumen bewegt. Was natürlich nur Sinn macht, wenn der Rest der Mannschaft auf Raumdeckung spielt.


    Die Aufstellung sagt nun nichts darüber aus ob ich Gegner-, Raum- oder Ballorientiert Spiele. Auch eine Viererkette kann ich Raum- oder Gegnerorientiert spielen.

  • @Grätsche


    Im wörtlichen Sinne hast du mit der Beschreibung des/der Libero/Libera sicher recht. Seine Bedeutung als letzter Feldspieler ging jedoch mit der Einführung des Abseits ein wenig verloren. Seine Hauptaufgabe, das Ablaufen langer Flanken wurde auf den Torwart übertragen.


    Man würde das ballorientierte Spiel falsch interpretieren, wenn man es rein statisch betrachtet, in dem einzelne Spieler in ihrer Gruppe auf einer Linie reagieren, sobald der Ball in ihre Nähe gelangt. Auch im ballorientierten Spiel bilden sich häufig genug Pärchen. Allerdings ist die Interpretation wo welche Räume besetzt oder freigelassen werden unterschiedlich und in Taktik bzw. Spielphilosophie gebündelt.


    Darüber hinaus gibt es eine Reihe von weiteren Elementen des Fussballs, die vom gegner- in die ballorientierte Taktik übernommen wurden. Vieles aus gutem Grund, manches jedoch auch, ohne es weiter zu hinterfragen. (Hatte letztens mal eine Diskussion über die Funktion von TW-Handschuhen. Dort halten sich nach wie vor die Gerüchte, dass man durch das Polster an der Innenseite bzw. durch das Nässen den Ball besser festhalten könnte. Das ist natürlich Unfug. Nur durch die richtige Technik fangen die Hände (nicht die Handschuhe) den Ball. Und Nässen braucht man die Handschuhe auch nicht oder macht jemand seine Autoreifen im Sommer nass, damit sie besser haften?)


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    Die "Kette" läßt sich bei Frauenteams sehr viel leichter trainieren als bei den Männern. Das mag sicher einige Gründe haben, wie:
    - Männer fangen meist früher an mit dem Fussball, weshalb sie das "gegnerorientierte Spiel" bereits tief verinnerlicht haben und sich schwer tun, etwas Neues zu erlernen
    - das Fussballspiel der Männer ist deutlich schneller, dynamischer und beinhaltet in der Regel mehr Zweikämpfe, während bei den Frauen mehr Zeit für Lauf- und Paßwege nach gewünschter Taktik bleibt


    Schon nach 1 - 2 Monaten lassen sich bei einer Frauenmannscharft deutliche, taktische Fortschritte erkennen. Allerdings stagnieren die Fortschritte gegenüber den Männerteams auch früher. Denn wo mehr Zeit zur Verfügung steht, da besteht auch die größere Gefahr, dass einzelne, ballferne Spieler gelegentlich auf "Zuschauermodus" umschalten, in der sich nicht mehr Akteure, sondern einen Beobachterstatus einnehmen. Man kann das leicht testen, indem man bei einer Spielform die Provokationsregel ausgibt: wer länger als 1 Sekunde steht, erstarrt auf Trainerkommando als Salzsäule und muß solange dort verharren, bis die aktuelle Ballaktion abgeschlossen ist. Selbst, wenn sich alle Spielerinnen nach ca. 4 - 5 "Salzsäulen-Aktionen nunmehr permanent bewegen, wird man die ballfernen Spielerinnen, die ihre Position nicht zum Ball hin verschieben, weiterhin beobachten können. Erst im Profibereich, wo mit deutlich mehr Eigenmotivation gespielt wird, kann man diesen Effekt kaum noch beobachten.


    Ich habe die Kette mit Libera gibt es im Frauen-Leistungsfussball überall dort beobachtet, wo es den Trainern an umfangreichen Wissen im ballorientierten Spielsystem gefehlt hat. Denn wer kann es sich erlauben, eine Spielerin fast komplett aus dem Spiel zu nehmen? Und wie soll die Keeperin dabei lernen, sich von der Torlinien- zur Torraumspielerin weiter zu entwickeln?


    Diese Trainer leben von dem Erfolg, immer das ihren Mädels zu sagen, was sie gerne hören wollen. Dabei nehmen sie billigend inkauf, dass sich das Team sportlich weniger weiterentwickelt. Denn wer gelobt werden will, der sollte sich auch mal Korrekturhinweise anhören! Sonst lügt man sich selbst nur in die Tasche und versteht gar nicht, warum die Gegner immer wieder die Schwächen rasch herausfinden.


    @teenay
    Deine Beobachtung, dass Frauen lieber nach vorn rennen als zurück kann durchaus bestätigt werden. Es gibt zwar auch einige Akteure, die bei Ballverlust sofort nachsetzen, aber die Meisten sehen den Ballverlust eher als "himmelschreihende Ungerechtigkeit" an, gegen die man sowieso nichts machen kann, weshalb man sofort stehen bleibt. Auch ein Angriffs- oder Mittelfeldpressing läßt sich häufig nur über einen kurzen Moment erzielen. Hat man den zweiten Paß nicht erlaufen können, gibt man auf und macht nur widerwillig durch Traineraufforderung weiter.


    Der Frauenfussball ist bei genauerer Betrachtung in vielen Dingen anders als im Männerbereich. Deshalb sollte man ihn auch nicht miteinander vergleichen. Insbesondere bei der Suche nach weiteren Optimierungsmöglichkeiten helfen Modelle aus dem Männerbereich meist wenig! Die individuellen Fähigkeiten mit den Wünschen in einer stark emotional geprägten Umgebung zu verbinden, das ist eine eigene und ganz besondere Herausforderung. Sie anhand von Siegen oder Niederlagen beschreiben zu wollen, würde nicht annähernd den Kern des Frauenfussballs beschreiben.

  • Im wörtlichen Sinne hast du mit der Beschreibung des/der Libero/Libera sicher recht.

    Auch historisch hat er recht, denn als der Libero als Neuerung eingeführt wurde, herrschte die Manndeckung ja vor, der Libero kam dann als weiterer Defensivspieler hinzu, um Überzahl der Verteidiger herzustellen. Wenn ich die mir bekannte Literatur über die Entwicklung der Fußballtaktik richtig verstehe, wurde damals mannschaftstaktisch noch sehr starr und inflexibel operiert, außerdem gab es Offensiv- und Defensivspezialisten, die das jeweils andere Metier oft nur recht ungenügend beherrschten.


    Seine Bedeutung als letzter Feldspieler ging jedoch mit der Einführung des Abseits ein wenig verloren.

    Da liegst du, glaube ich, ein wenig daneben, denn die Abseitsregel ist so alt wie das Fußballspiel selbst. Sie stammt noch aus dem Rugby, aus dem der Fußball entstand. Und zu Beginn war sie auch genauso formuliert: man durfte überhaupt keine Pässe nach vorne, sondern höchstens auf der gleichen Höhe spielen. Deshalb gab es ja in den ersten taktischen Aufstellungen im Fußball im 19. Jahrhundert auch noch acht Stürmer und nur zwei reine Verteidiger.


    Man würde das ballorientierte Spiel falsch interpretieren, wenn man es rein statisch betrachtet, in dem einzelne Spieler in ihrer Gruppe auf einer Linie reagieren, sobald der Ball in ihre Nähe gelangt. Auch im ballorientierten Spiel bilden sich häufig genug Pärchen. Allerdings ist die Interpretation wo welche Räume besetzt oder freigelassen werden unterschiedlich und in Taktik bzw. Spielphilosophie gebündelt.

    Richtig. Leider fehlte mir in den Neunzigern noch die Kompetenz, aber auch das Interesse, um mir die damaligen Fußballspiele auch unter taktischen Gesichtspunkten anzusehen. Die Evolution des ballorientierten Spiels würde mich durchaus interessieren. Man merkt aber auch in den letzten zehn Jahren, in diesem Zeitraum habe ich eigene Beobachtungen gemacht, feststellen, dass sich sowohl Offensiv- wie Defensivtaktiken weiterentwickeln. Ich mutmaße, dass in den Neunzigern das 4-4-2 mit flacher Vier noch deutlich raumorientierter gespielt wurde als dies heutzutage zumindest im Spitzenfußball der Fall ist. Heute wird ja immer stärker mannorientiert verteidigt, je näher man dem eigenen Tor kommt. Das ist, so erkläre ich es mir zumindest, einfach dem Umstand geschuldet, dass im Spitzenfußball die Angreifer technisch so gut und so schnell sind, dass man es sich nicht erlauben kann, ihnen auch nur eine halbe Sekunde ohne Druck im torgefährlichen Raum zu geben.


    Allerding bewegen sich die Damen, um die es hier geht, aller Wahrscheinlichkeit nach in viel niedrigeren Sphären. Da dürften die entscheidenden Unterschiede darin liegen, ob sie dazu bereit sind, sich in der Defensive gegenseitig zu helfen, ob sie die gefährlichen Lücken erkennen und rasch schließen können, und natürlich, wie geschickt und engagiert sie im Defensivzweikampf sind.

    "Be yourself; everybody else is already taken." (Oscar Wilde)

  • @tobn


    Du hast Recht mit der Abseitsregel. Allerdings und das habe ich leider vergessen zu erwähnen, wurde sie früher lediglich im Seniorenbereich und noch nicht im "Schülerfussball" gespielt. Dort wurde sie meines Wissens erst in den 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts nach und nach eingeführt. Die "Abseitsfalle" wurde erst in den 70-er Jahren trainiert. Das "passive" Abseits kam erst Anfang dieses Jahrhunderts.


    Der/die Libero/Libera, um die es hier eigentlich ging hat teilweise noch Fortbestand in Mannschaften während der Umstellungsphase. Hier agiert er/sie meist hinter der "Kette" als letzter Feldspieler, manchmal aber auch davor als "Vorstopper". Seine Funktionen sind jedoch hier nicht mehr vollständig identisch mit denen des früheren Libero. Er hat jedoch, anders wie seine Kollegen die weitgehende Freiheit in der Defensive den Raum zu besetzen, den er in der jeweiligen Situation für sich am besten sieht. Das diese Entscheidung nicht gänzlich von denen seiner Mitspieler unabhängig ist, läßt sich denken, jedoch ist sein taktisches Korsett nicht so eng gesetzt wie bei den Anderen.


    Ich würde jedoch davon abraten, bei einer Umstellung aufs ballorientierte Spiel weiterhin mit ener Libera spielen zu wollen, weil das schnelle Umschalten von Offensive in die Defensive schwieriger ist. Denn es verlassen sich da alle auf die Libera, die es im Zweifelsfall schon richten wird. Auch die Keeperin wird sich schwer tun und es kann immer wieder zu Mißverständnissen (nimmst du den Ball oder soll ich hingehen?) mit der Libera kommen. Dann lieber Anfängerfehler machen, erkennen was noch nicht O.K. ist und anschließend daran arbeiten.


    Ein weiteres Problem im Frauenfussball ist die gegenüber dem Männerfussball geringere Trainingsbeteiligung. Während bei den Männern selbst beim Fussball auf Kreisebene ein Positionskampf via Trainingsfleiß möglich ist, geht dieser Schuß bei den Mädels nach hinten los, weil die sich gar nicht in so eine Wettbewerbsrolle zwingen lassen wollen. Aufgrund der geringeren Eigenmotivation können Frauentrainer auf Kreisebene häufig mit 2/3 bis 1/2 der Mannschaftsstärke trainieren, sodass etwas komplexere Übungen und Spielformen (z.B. ein 6 : 6) gar nicht möglich ist! Wenn dann versucht wird, während des Spiels zu korrigeren, wird dies ignoriert, weil der Sinn gar nicht verstanden wird. Da ist dann sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt, was den Mädels zumutbar ist.